Wirecard-Skandal: EU-Finanzaufsicht sieht Defizite bei deutscher Aufsicht

Im Wirecard-Skandal hat es nach Einschätzung der europäischen Finanzaufsicht ESMA etliche Defizite und Versäumnisse in der deutschen Finanzaufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) gegeben. Im Rahmen einer Untersuchung seien "eine Reihe von Mängeln, Ineffizienzen sowie rechtlichen und verfahrenstechnischen Hindernissen“ identifiziert worden, teilte die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde mit.

EU-Behörde kritisiert Nähe der Bafin zur Politik

ESMA-Chef Steven Maijoor bekräftigte: “Der heutige Bericht zeigt Mängel bei der Überwachung und Durchsetzung der Finanzberichterstattung von Wirecard auf.“ Kritisch sieht die EU-Behörde die Nähe der deutschen Finanzaufsicht Bafin zur Politik. Aus der Häufigkeit und dem Detaillierungsgrad der Bafin-Berichte an das Bundesfinanzministerium leitet die ESMA ein “erhöhtes Risiko der Einflussnahme“ durch das Ministerium ab. Zudem bemängelt die ESMA bei der Bafin Intransparenz über den Aktienbesitz der Mitarbeiter. Dies werfe Zweifel über die Widerstandsfähigkeit der internen Kontrollsysteme der Aufsicht in Bezug auf mögliche Interessenkonflikte auf.

Wirecard räumte Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro ein

Der inzwischen insolvente frühere Dax-Konzern Wirecard hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt und in der Folge Insolvenz angemeldet. Die Firma saß als Dienstleister für bargeldlose Zahlungen an Ladenkassen und im Internet an der Schnittstelle zwischen Händlern und Kreditkartenfirmen - in einem hart umkämpften Markt. Die Münchener Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Unternehmen seit 2015 Scheingewinne auswies, und ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Um die politische Aufklärung bemüht sich ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages.

Wirecard-Prüfungen der DPR unzureichend

Formal war die Bafin nur für einen Teil des Wirecard-Konzerns zuständig: die Wirecard Bank. Die Finanzaufsicht kommt bei der Überprüfung von börsennotierten Unternehmen bisher erst spät ins Spiel. Zunächst sind private Wirtschaftsprüfer für die Buchprüfung zuständig, dann die privatrechtliche Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). Dies soll sich nun ändern. Nach Einschätzung der ESMA befasste sich die DPR bei ihren Wirecard-Prüfungen “weder angemessen mit Bereichen, die für das Geschäft von Wirecard wesentlich sind, noch mit den Medien- und Whistleblowing-Vorwürfen gegen Wirecard“. Die britische Zeitung “Financial Times“ hatte seit 2015 regelmäßig über Unstimmigkeiten in den Bilanzen des Zahlungsdienstleisters berichtet.

ESMA sieht großes Durcheinander bei Zuständigkeiten in deutscher Finanzaufsicht

“Offenbar gibt es in der deutschen Finanzaufsicht ein großes Durcheinander bei den Zuständigkeiten, was im Ergebnis zu einem mangelnden Informationsaustausch und einem völlig ineffektiven Aufsichtshandeln führt“, kommentierte der Sprecher der EVP-Fraktion im Wirtschafts- und Währungsausschuss im Europäischen Parlament, Markus Ferber. Die ESMA kritisiere zu Recht, “dass die BaFin alles andere als politisch unabhängig ist“. Auch der Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi mahnte: “Der politische Einfluss des Finanzministeriums auf die Finanzaufsicht muss eingeschränkt werden.“

Scholz: Finanzministerium war höchst aufmerksam

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte am 03.11.2020 in Brüssel, aus seiner Sicht bewege sich der ESMA-Bericht ganz entlang der Linie, “die wir selber in unserem Gesetzgebungsverfahren zur Reform der Aufsicht und Überprüfung eingeschlagen haben“. Das sei eine gute Botschaft. “Und ansonsten ist es so, dass ja ganz anders als in dem deutschen Diskurs hier gesagt wird, das Bundesfinanzministerium hat sich sehr aktiv um diese Sache gekümmert“, sagte Scholz. “Das kann man vor dem Hintergrund der Debatte, die hierzulande geführt wird, ja durchaus als ein kleines, vorsichtiges Zeichen höchster Aufmerksamkeit begreifen, und ich betrachte das also nicht als etwas Kritisches.“

Redaktion beck-aktuell, Jörn Bender, 3. November 2020 (dpa).