OLG Mün­chen lässt An­le­ger in Wire­card-Af­fä­re auf Scha­den­er­satz hof­fen

Im Wire­card-Skan­dal kön­nen frus­trier­te An­le­ger nach ihren im­mensen Kurs­ver­lus­ten nun doch auf Scha­den­er­satz gegen die Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft EY hof­fen. Das Ober­lan­des­ge­richt Mün­chen mach­te ges­tern in einem vor­läu­fi­gen Hin­weis gra­vie­ren­de Zwei­fel an den Ge­richts­ent­schei­dun­gen der ers­ten In­stanz pu­blik. Diese hätte Kla­gen gegen EY nicht ohne wei­te­re Be­weis­auf­nah­me ab­wei­sen dür­fen, son­dern - ana­log zum Die­sel­skan­dal - eine vor­sätz­li­che sit­ten­wid­ri­ge Schä­di­gung ge­nau­er prü­fen müs­sen.

LG hätte Sach­ver­stän­di­gen-Gut­ach­ten ein­ho­len müs­sen

Der vor­läu­fi­ge Hin­weis be­deu­tet nicht, dass das OLG die Wirt­schafts­prü­fer von EY in jedem Fall für mit­ver­ant­wort­lich hält, oder dass ein Er­folg der Kla­gen gegen die Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft nun ga­ran­tiert wäre. Al­ler­dings mach­te der 8. Zi­vil­se­nat sehr deut­lich, dass das Land­ge­richt Mün­chen I sich nach sei­ner Ein­schät­zung viel zu ober­fläch­lich mit dem Fall be­fasst hat. Ins­be­son­de­re rüf­felt der Senat, dass es dem LG wohl an "ei­ge­ner Sach­kun­de" fehle, um die in einem Gut­ach­ten der Prü­fungs­ge­sell­schaft KPMG er­ho­be­nen Vor­wür­fe gegen EY zu be­ur­tei­len. Dafür wäre laut Ober­lan­des­ge­richt ein Sach­ver­stän­di­gen-Gut­ach­ten an­ge­bracht ge­we­sen. Dar­über hin­aus hält das OLG dem LG vor, den Be­richt des Wire­card-Un­ter­su­chungs­aus­schus­ses im Bun­des­tag igno­riert zu haben, und zwar "ge­hörs­wid­rig" zum Nach­teil der kla­gen­den An­le­ger. Das OLG emp­fahl dem LG, ein Mus­ter­ver­fah­ren zu er­öff­nen. Als Op­ti­on er­wägt das OLG dem­nach aber auch, das Ver­fah­ren an das LG zu­rück­zu­ver­wei­sen, um die bis­lang feh­len­de um­fang­rei­che Be­weis­auf­nah­me nach­zu­ho­len.

Staats­an­walt­schaft: Wire­card-Vor­stand agier­te wie kri­mi­nel­le Bande

Wire­card hatte im Juni 2020 zu­erst er­fun­de­ne Bu­chun­gen in Höhe von 1,7 Mil­li­ar­den Euro ein­ge­räumt und wenig spä­ter In­sol­venz an­ge­mel­det. EY hatte die Bi­lan­zen des Un­ter­neh­mens zuvor über Jahre ge­prüft und tes­tiert, ohne den mut­ma­ß­li­chen Be­trug zu ent­de­cken. Die Münch­ner Staats­an­walt­schaft geht davon aus, dass der Vor­stand wie eine kri­mi­nel­le Bande agier­te und die Bi­lan­zen jah­re­lang be­wusst fälsch­te, um Bank­kre­di­te und In­ves­to­ren­gel­der zu er­schlei­chen. Der frü­he­re Vor­stands­chef Mar­kus Braun sitzt seit fast ein­ein­halb Jah­ren in Un­ter­su­chungs­haft.

Ver­wei­ge­rung der EY-Testa­te hätte zu we­ni­ger Ak­ti­en­käu­fen ge­führt

Für die Ak­tio­nä­re be­deu­te­te die Wire­card-Plei­te im­mense Ver­lus­te in zwei­stel­li­ger Mil­li­ar­den­hö­he. Des­we­gen sind beim LG Mün­chen I Hun­der­te von Scha­den­er­satz­kla­gen gegen EY ein­ge­gan­gen, die bis­lang ab­ge­wie­sen wur­den. Das LG sah in meh­re­ren Ent­schei­dung kei­nen ur­säch­li­chen Zu­sam­men­hang zwi­schen den EY-Testa­ten und den Ver­lus­ten der An­le­ger, be­zie­hungs­wei­se keine Pflicht­ver­let­zung der Prü­fer. Das OLG je­doch mel­det an die­ser Sicht der Dinge große Be­den­ken an: Nach Ein­schät­zung des Se­nats hätte eine frü­he­re Ver­wei­ge­rung des Testats durch EY auch einen frü­he­ren In­sol­venz­an­trag der Wire­card AG zur Folge ge­habt. Aus­ge­hend davon sprä­che dann "wohl die all­ge­mei­ne Le­bens­er­fah­rung dafür, dass die An­le­ger die streit­ge­gen­ständ­li­chen Ak­ti­en­käu­fe in Kennt­nis des­sen nicht ge­tä­tigt hät­ten", hieß es in der Mit­tei­lung des OLG.

Redaktion beck-aktuell, 10. Dezember 2021 (dpa).