Wenn der Whistleblower zur Durchsuchung bläst
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Darf aufgrund anonymer Angaben eines Whistleblowers eine Durchsuchung stattfinden? Das LG Nürnberg-Fürth hat dies bejaht. André-M. Szesny findet die Entscheidung richtig: Die wichtigen Hinweisgeberportale wären sonst oft wertlos, meint er.

Das LG Nürnberg-Fürth hatte kürzlich die Frage zu klären, ob eine anonyme Anzeige über ein Hinweisgebersystem eine richterliche Durchsuchungsanordnung rechtfertigen kann (Beschluss vom 14.02.2024 – 18 Qs 49/23, 18 Qs 50/23, 18 Qs 51/23). Dem Strafverfahren, das sich gegen die Inhaberin zweier Apotheken richtete, lag eine über das Hinweisgebersystem der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) eingegangene anonyme Meldung zugrunde. Ausweislich der Meldung ließen sich Kunden in einer Apotheke Rezepte "nachquittieren", ohne dass Medikamente veräußert würden. Diese Rezepte würden die Kunden angeblich bei ihrer jeweiligen Versicherung einreichen. 

Der Whistleblower nannte eine Kundin und die betroffene Mitarbeiterin der Apotheke namentlich, teilte mit, dass diese sich schon länger kennen würden und nannte auch das Datum des letzten Apothekenbesuchs dieser Kundin. Zudem schilderte er in der Meldung das konkrete Vorgehen und nannte potenzielle Beweisquellen. 

Ebenso sei es zu einem Vorfall gekommen, bei dem die Verdächtige Medikamente gegen Barzahlung ausgab, wobei sie nicht mitteilte, dass die Kasse die Kosten hierfür übernehme, in der Folge diese Medikamente aber zusätzlich gegenüber der Krankenkasse abrechnete. Hierzu reichte der Whistleblower einen Bildschirmabzug aus dem Warenwirtschaftssystem der Apotheke mit dem betreffenden Medikament ein.

Hohe Anforderungen bei anonymen Anzeigen

Nachdem weitere Ermittlungen keine wesentlichen Erkenntnisse erbracht hatten, erließ das AG Nürnberg auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Durchsuchungsbeschlüsse für zwei Apotheken der Beschuldigten sowie ihre Wohnräume. Dagegen legte sie über ihre Verteidiger Beschwerden ein, hatte damit aber vor dem AG keinen Erfolg.

Das LG hielt die Beschwerden ebenfalls für unbegründet. Damit ein Durchsuchungsbeschluss in Bezug auf den Tatverdächtigen rechtmäßig ist, bedarf es im Kern dreier Voraussetzungen, die das Gericht als erfüllt ansah: ein Tatverdacht, eine Auffindevermutung in Bezug auf Beweismittel und die Verhältnismäßigkeit.

Der Tatverdacht muss dabei auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützt werden. Es genügt nicht, wenn diese erst durch die Durchsuchung selbst ermittelt werden sollen. Sie müssen im Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses bereits vorliegen. Im hier in Rede stehenden Fall war einziger Anknüpfungspunkt die anonyme Hinweismeldung. Das LG Nürnberg-Fürth ließ dies genügen, stellte aber klar, dass auf anonyme Anzeigen erfolgende schwerwiegende Ermittlungsmaßnahmen wie eine Durchsuchung besonders sorgfältiger Prüfung bedürfen. Denn im Grundsatz bergen anonyme Anzeigen eine erhöhte Gefahr und ein schwer bewertbares Risiko einer falschen Verdächtigung. 

Verdächtigung von "beträchtlicher sachlicher Qualität" nötig

Eine Absage erteilte das LG aber der Ansicht, dass anonyme Anzeigen allein nie die Einleitung strafprozessualer Maßnahmen rechtfertigen könnten. Allerdings müsse die Meldung von beträchtlicher sachlicher Qualität sein oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt werden. Kriterien sind damit insbesondere der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe, warum die Identität der Auskunftsperson nicht offengelegt wird. 

Auch das Bundesjustizministerium hält gem. Nr. 8 RiStBV anonyme Anzeigen für zulässige Anknüpfungspunkte zur Einleitung eines Strafverfahrens, legt der Staatsanwaltschaft jedoch eine vorherige Prüfung der Angaben nahe. Durchsuchungsanträge oder -beschlüsse, die diesem Maßstab nicht gerecht werden, werden zu Recht abgelehnt bzw. aufgehoben.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage genügte dem LG Nürnberg-Fürth die anonyme Anzeige über das ZKG-Hinweisgebersystem. Die anonyme Person habe sachkundiges Wissen geäußert und differenziert, welche Umstände ihr bekannt seien und welche nicht. Zudem habe sie Personalien der Verdächtigen, Tatort und ihr bekannte Tatzeitpunkte genannt und zuverlässig auf Nachfragen der Ermittlungsbehörden reagiert. Daraus sei zu schließen, dass die Angaben auf echten Erfahrungen beruhten und nicht fingiert seien. Auch die Vorlage des Bildschirmabzugs ermöglichte es den Ermittlungsbehörden, die anonyme Meldung hinreichend zu überprüfen. 

Zeugnisverweigerungsrecht greift nicht bei Verfahren gegen sich selbst

Die Verteidigung hatte sich hingegen auf eine Entscheidung des LG Augsburg berufen, wonach zusätzlich ein objektivierbares Indiz zur Begründung des Tatverdachts nötig sei. Andernfalls bestünde die Gefahr von Denunziantentum. Allerdings bestand die dortige anonyme Anzeige aus lediglich vier Sätzen, wovon sich nur ein Satz mit dem erhobenen Vorwurf auseinandersetzte, dies jedoch auch pauschal und nicht überprüfbar. Im Übrigen stehe diese Entscheidung auch nicht im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung, stellte nun das LG Nürnberg-Fürth klar. Demzufolge könne eine anonyme Anzeige einen Anfangsverdacht begründen sowie die Durchführung einer Durchsuchung rechtfertigen, auch wenn kein zusätzlicher unmittelbarer objektiver Tatnachweis geliefert werde.

Auseinanderzusetzen hatte sich das Gericht auch noch mit der Frage, ob die Durchsuchung möglicherweise unverhältnismäßig war, weil der Beschuldigten als Apothekerin nach §§ 160a Abs. 2, 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zukam. Dieses gelte nur für Strafverfahren in Bezug auf Dritte, nicht jedoch, wenn sich das Verfahren gegen die Berufsgeheimnisträgerin selbst richte, so das LG. Eine vorherige Vernehmung weiterer möglicher Zeugen verlangte das Gericht ebenfalls nicht. Sonst hätte man das Ermittlungsverfahren offenlegen müssen und Verdunkelungshandlungen riskiert.

Portale bieten Schutz vor Repressalien

Mit seiner Entscheidung bringt das LG Nürnberg-Fürth die widerstreitenden Interessen in einen angemessenen Ausgleich. Selbstverständlich können floskelhafte oder pauschal gehaltene anonyme Anzeigen keine einschneidenden Ermittlungsmaßnahmen – wie die Durchsuchung von Wohnung und Geschäftsräumen – rechtfertigen. Andernfalls wäre Missbrauch durch missgünstige oder sich rächende Dritte Tür und Tor geöffnet und würden Ermittlungsbehörden doch-nicht-so-zufällige Zufallsfunde bei Personen ermöglicht, die aus anderem Grunde ins Augenmerk der Ermittler geraten sind.  

Andererseits sind anonyme Anzeigen eine wichtige Erkenntnisquelle zur Aufdeckung von Straftaten. Zudem können Personen sich in Situationen befinden, die es ihnen nicht erlauben, sich anders mitzuteilen, etwa im Bereich des Arbeitsplatzes, der Familie oder im Milieu der organisierten Kriminalität. Letztlich muss in jedem Einzelfall sehr genau überprüft werden, ob eine anonyme Anzeige hinreichend substantiiert und glaubhaft ist, um die Grundlage für die Eröffnung eines Strafverfahrens und erst recht für die Einleitung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen zu bieten.

Betrieb von Meldestellen nimmt zu – und damit die anonymen Anzeigen

Die Entscheidung ist begrüßenswert, weil sie sich positiv von einer Vielzahl alltäglicher Entscheidungen absetzt, die die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an einschneidende strafprozessuale Zwangsmaßnahmen immer wieder unbeachtet lassen.

Der Beschluss setzt auch Maßstäbe für zukünftige Entscheidungen: Seit Juli des vergangenen Jahres verpflichtet das HinSchG private und öffentliche Beschäftigungsgeber zur Einrichtung und zum Betrieb interner Meldestellen und Bundes- und Landesbehörden müssen zusätzlich externe Meldestellen anbieten. Vor diesem Hintergrund ist in Zukunft mit deutlich mehr anonymen Anzeigen zu rechnen. Anonymität muss Hinweisgebern der gesetzlichen Regelung zufolge zwar nicht zugesichert werden. Und doch dürfen solche Anzeigen nicht einfach ignoriert werden: Auch Beschäftigungsgeber müssen ihnen nachgehen, womit sie zur Grundlage interner Ermittlungen, von Strafanzeigen, Haftungs-, Bußgeld- und Strafverfahren werden. Der Beschluss des LG mahnt zur Sorgfalt und dazu, Übereifer und Denunziantentum zu verhindern – und erweist damit sowohl dem Strafverfahren als auch dem Hinweisgeberschutz einen wichtigen Dienst.


Der Autor Dr. André-M. Szesny ist Rechtsanwalt, Partner und Leiter der Praxisgruppe Wirtschafts- und Steuerstrafrecht am Düsseldorfer Standort von Heuking.

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 14.02.2024 - 18 Qs 49/23, 18 Qs 50/23, 18 Qs 51/23

Redaktion beck-aktuell, Dr. André-M. Szesny, 26. März 2024.