Warten auf Karlsruhe – Diesel-Grundsatz-Urteile rücken näher

Knapp vier Jahre nach Bekanntwerden des Dieselskandals erreichen mehr und mehr Klagen betroffener Autobesitzer den Bundesgerichtshof. Bei den obersten Zivilrichtern liegen inzwischen mehr als 30 Verfahren, wie eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Dabei geht es in drei anhängigen Revisionen um die Frage, ob VW als Hersteller wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung haftet.

27 Nichtzulassungsbeschwerden

In allen anderen Fällen will die unterlegene Partei über ihre Beschwerde beim BGH die Zulassung ihrer Revision erst noch erreichen. Das kann schon an formalen Hürden scheitern.

BGH-Sprecherin: "Große Welle" kommt noch

In diesem Jahr seien wichtige Weichenstellungen eher nicht mehr zu erwarten, sagte die Sprecherin. Über das Braunschweiger Urteil, das der Rechtsdienstleister Myright angefochten hat, werde definitiv erst 2020 verhandelt. Die allermeisten Verfahren beschäftigten noch die Instanzgerichte. "Die große Welle hat uns noch nicht erreicht."

BGH-Diesel-Entscheidungen sehnsüchtig erwartet

Höchstrichterliche Entscheidungen zum Diesel werden sehnsüchtig erwartet. Sehr viele grundsätzliche Rechtsfragen sind ungeklärt - und werden deshalb von den Landgerichten und Oberlandesgerichten überall unterschiedlich beantwortet. Gibt es ein BGH-Urteil, folgen die unteren Gerichte ganz überwiegend dieser Rechtsauffassung.

Zwei Verhandlungen durch Klagerücknahmen vereitelt

Aber noch wurde keine einzige Diesel-Klage in Karlsruhe verhandelt. Zwei Verhandlungen waren eigentlich für Anfang 2019 angesetzt gewesen. Beide klagenden Autokäufer machten allerdings kurz vorher einen Rückzieher - zumindest einmal sehr wahrscheinlich wegen eines vorteilhaften Vergleichs.

Überraschender Hinweisbeschluss

Beim zweiten Mal ließ der zuständige Achte Zivilsenat sich das nicht bieten: In einem Überraschungscoup gingen die Richter mit einem Hinweisbeschluss (BeckRS 2019, 2206) an die Öffentlichkeit. Seither ist immerhin klar, dass der BGH die illegale Abgastechnik als Sachmangel einstuft. Das ist Grundvoraussetzung, um erfolgreich gegen den Händler vorzugehen. Im Beschluss steht auch, dass Neuwagenkäufer trotz zwischenzeitlichem Modellwechsel einen Anspruch darauf haben können, dass ihnen ihr Händler ein mangelfreies Ersatzauto gibt.

Viele offene Fragen

Aber die allermeisten Fragen bleiben ungeklärt. Allen voran lässt der Beschluss offen, ob ein Auto auch dann noch mangelhaft ist, wenn das vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordnete Software-Update aufgespielt wurde. Der konkret betroffene Kläger hatte sein Auto nicht nachrüsten lassen. Außerdem ging es nur um Käufer von Neuwagen, die mit ihrem Händler um Ersatzlieferung streiten. Andere Kläger wollen den Kaufpreis mindern oder vom Kaufvertrag zurücktreten. Und die meisten Betroffenen haben nicht den Autoverkäufer, sondern VW als Hersteller verklagt.

Schadensersatzklagen für Besitzer älterer Diesel interessant

Diese Verfahren, in denen es nicht um Haftung für Mängel, sondern um Schadenersatz geht, bearbeitet beim BGH der Sechste Zivilsenat. Laut Autofahrerclub ADAC sind solche Klagen vor allem für Leute mit einem älteren Diesel interessant. Denn Ansprüche gegen den Autohändler können nach Übergabe höchstens zwei Jahre lang angemeldet werden. Die Schadenersatz-Forderungen fußen auf dem Vorwurf, dass der Hersteller die Käufer mit der manipulierten Abgastechnik bewusst getäuscht und damit vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe.

OLG Koblenz und OLG Karlsruhe: VW haftet aus § 826 BGB

Die drei anhängigen Revisionen beim BGH drehen sich alle um diese Frage. In zwei Fällen hatte VW den Kürzeren gezogen: Mitte Juni 2019 verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz den Autobauer zur Zahlung von fast 26.000 Euro an den Käufer eines gebrauchten VW Sharan (BGH-Az.: VI ZR 252/19). Im Juli 2019 stellte das OLG Karlsruhe auf die Klage eines Skoda-Käufers hin ohne konkrete Summe eine Schadenersatzpflicht des Mutterkonzerns VW fest (BGH-Az. VI ZR 292/19). Beide Gerichte argumentieren ähnlich: VW habe das Auto "unter bewusstem Verschweigen der unzulässigen Softwareprogrammierung in Verkehr gebracht", so das OLG Koblenz. Behörden, Wettbewerber und Verbraucher seien "in großer Zahl systematisch zur Profitmaximierung getäuscht worden". Dem Kläger sei dadurch ein Schaden entstanden.

OLG Braunschweig verneinte deliktische Haftung von VW

Andere Oberlandesgerichte sehen das anders, wie das OLG Braunschweig. VW habe gegen kein Gesetz und keine Vorschrift verstoßen, die dazu dienten, den Kläger oder sein Vermögen zu schützen, entschieden die Richter im Februar. Das bedeutet: kein Schadenersatz. Hinter der Revision in diesem Fall (Az. VIII ZR 61/19) steht Myright, ein Rechtsdienstleister, der nach eigenen Angaben die Ansprüche Zehntausender Dieselbesitzer gesammelt hat und vertritt.

Musterfeststellungsprozess startet Ende September

Auch die Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentralen gegen VW, der sich rund 430.000 Autokäufer angeschlossen haben, wird am Ende in Karlsruhe landen. Noch hat die Verhandlung am OLG Braunschweig aber gar nicht begonnen. Prozessauftakt ist am 30.09.2019.

Redaktion beck-aktuell, Anja Semmelroch, 26. August 2019 (dpa).

Mehr zum Thema