Abstimmungspannen bei Bundestagswahl: Keine zeitnahe Entscheidung

Mit einer endgültigen Entscheidung, wie es mit dem Einspruch des Bundeswahlleiters Georg Thiel gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl vom 26.09.2021 in Berlin weitergeht, ist nicht vor der parlamentarischen Sommerpause zu rechnen. Das machte die Vorsitzende des Wahlprüfungsausschuss, Daniela Ludwig (CDU/CSU), am Dienstag bei einer Anhörung deutlich. Thiel stützt seinen Einspruch auf zahlreiche Pannen und Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung.

Ist Wiederwahl das verhältnismäßige Mittel?

Wie der parlamentarische Pressedienst berichtete, verwies Thiel auf die Gesamtzahl der Wahlfehler in Berlin. In einigen Wahlräumen sei eine Wiederwahl erforderlich. Ulrike Rockmann von der Berliner Landeswahlleitung meinte dagegen, sie sehe nicht, dass eine Wiederwahl das verhältnismäßige Mittel sei.

Verweis auf Gebot geringstmöglichen Eingriffs

Ludwig beschrieb die knifflige Ausgangslage für den Wahlprüfungsausschuss: Selbst bei Einigkeit über Wahlfehler oder Mandatsrelevanz heiße das nicht automatisch, dass ein Wahlgang ungültig ist. Vielmehr greife dann immer noch das Gebot des geringstmöglichen Eingriffs. Überdies sei der Bestandsschutz einer gewählten Volksvertretung zu gewährleisten. Neuwahlen erforderten komplexe Vorbereitungen. Die Arbeitsfähigkeit des Parlaments solle aber möglichst aufrechterhalten bleiben.

Thiel: Weder geänderte Ausgangslage für Parteien noch Aufwand relevant

Thiel meinte, bei der Frage der Angemessenheit einer Wiederwahl dürfe es keine Rolle spielen, dass sich die Ausgangslage für die Parteien ändere. Für sie heiße es: neues Spiel, neues Glück. Auch der anfallende Aufwand falle nicht ins Gewicht: Für ein valides Wahlergebnis müsse er es wert sein.

Uneinigkeit über Auswirkungen auf Bundestags-Zusammensetzung

Vor den Überlegungen über die Verhältnismäßigkeit einer Wiederwahl stand bei der Verhandlung die Frage im Raum, ob die Wahlfehler in Berlin überhaupt Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Bundestags gehabt haben könnten. Auch hier gingen die Meinungen auseinander.

Sechs Berliner Wahlkreise betroffen

Die in Berlin gemachten Wahlfehler seien so schwerwiegend, dass mehr als nur theoretisch die Möglichkeit einer Mandatsrelevanz bestehe, erklärte Thiel. Mithin: In sechs Berliner Wahlkreisen müsse die Bundestagswahl wiederholt werden. Insgesamt müssten die Berliner Wahlvorgänge als Chaos gewertet werden. Es habe keinen ordnungsgemäßen Ablauf und keine ordnungsgemäße Dokumentation gegeben. Dieser Sachverhalt sei gut ermittelt worden. Die bei der Verhandlung erörterten Vorkommnisse reichten von fehlenden und falschen Wahlzetteln bis zu langen Wartezeiten und Wahllokalen, die teilweise deutlich bis nach 18 Uhr geöffnet hatten. Praktische Auswirkung sei gewesen, dass Hunderte von Bürgern nicht hätten wählen können. Es gehe nicht um Berechnungen, wie sie gewählt haben könnten.

Rockmann: Wahlwiederholung wäre nicht mandatsrelevant

Rockmann beharrte darauf, dass sie keinen Einspruch gegen die Wahl einlegen werde. Es habe sicherlich Behinderungen gegeben. Aber wie viele Bürger deshalb von der Wahl Abstand genommen hätten, sei nicht quantifizierbar. Abgesehen von der dokumentierten Zahl der Bürger, die nicht wählen konnten, weil Wahlzettel fehlten, habe jeder auch trotz Schlangen sein Wahlrecht wahrnehmen können: "Man hätte wählen können, wenn man das gewollt hätte." Rockmann wartete mit einem Zahlenwerk auf, um darzulegen, dass eine Wahlwiederholung nicht mandatsrelevant wäre.

Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses betont sehr hohe Hürden

Die hohen Hürden für eine solche Feststellung zeigte auch die Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses Ludwig auf. Ein Wahlfehler könne nur dann zu einer Wiederholungswahl führen, wenn es nicht nur die theoretische Möglichkeit einer Mandatsrelevanz gebe, sondern eine konkrete und eine nicht völlig fern liegende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er auf das Wahlergebnis und damit auf die Sitzverteilung im Parlament Einfluss habe.

Wahlprüfungsausschus muss Beschlussempfehlung geben

Der Wahlprüfungsausschuss muss nun darüber beraten und abstimmen, welche Beschlussempfehlung er dem Bundestag gibt: Muss es zu einer Wahlwiederholung kommen? Wenn ja, dann wo? So formulierte Ludwig die Fragestellung.

Redaktion beck-aktuell, 25. Mai 2022.