Aktuell ist wieder Wahlkampfzeit – zumindest in Sachsen und Thüringen, wo bereits am Sonntag die Landtage neu gewählt werden, und in Brandenburg, wo die Wähler drei Wochen später ebenfalls zur Wahl aufgerufen sind. Zu den "klassischen" Mitteln, mit denen die Parteien den Wettbewerb um die Wählergunst führen, gehören Wahlwerbespots im Hörfunk und Fernsehen. Die Inhalte werden dabei von den Parteien verantwortet und können für das Rundfunkpublikum in Form und Inhalt mitunter gewöhnungsbedürftig sein.
Dies veranschaulicht eine vor zwei Wochen veröffentlichte Eilentscheidung des VG Leipzig, die den Mitteldeutschen Rundfunk zur Ausstrahlung eines Hörfunkspots der Satire-Partei "Die PARTEI" verpflichtete (Beschluss vom 16.08.2024 – 1 L 473/24). Gegenstand der Entscheidung ist eine als Mini-Hörbuch gestaltete Dystopie, die am Tag der Vereidigung einer AfD-Landesregierung spielt. Ein Ehepaar hört Radio-Nachrichten und erregt sich dabei in überzeichnetem Sächsisch dermaßen, dass sie spontan beginnen, auf ihre Nachbarn zu schießen, die sie für AfD-Wähler halten.
Angesichts der gefestigten bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann die Zulassung des Spots durch das VG Leipzig ebenso wenig überraschen wie eine Entscheidung des VG Frankfurt a. M. aus dem Juni, als der Hessische Rundfunk zur Ausstrahlung eines Europawahlwerbespots der Satire-Partei verpflichtet wurde (Beschluss vom 15.05.2024 – 1 L 1559/24.F). Damals ging es um einen Songtext, der recht explizite sexuelle Fantasien transportierte.
Grundsatzbeschluss zu Wahlwerbespots von 1978
Entscheidungen des BVerfG zu Wahlwerbespots reichen bis in die 1950er-Jahre zurück. Damals ging es zunächst um die Frage, ob Kleinparteien überhaupt bei der Zuteilung von Sendezeiten berücksichtigt werden müssen (Beschluss vom 03.09.1957 – 2 BvR 7/57 und Beschluss vom 30.05.1962 – 2 BvR 158/62). Die bis heute maßgebliche Grundsatzentscheidung zur Ablehnung von Wahlwerbespots aus inhaltlichen Gründen ist Ende der 1970er-Jahre ergangen (Beschluss vom 14.02.1978 – 2 BvR 523/75 u. a.). Der Entscheidung lagen mehrere Verfassungsbeschwerden kommunistischer Kleinparteien zugrunde, deren Wahlwerbespots von den Rundfunkanstalten im Bundestagswahlkampf 1976 nicht ausgestrahlt worden waren. Die Rundfunkanstalten beanstandeten verschiedene Wahlkampfparolen, die heute ziemlich aus der Zeit gefallen wirken. Dazu gehörte etwa der Satz: "Das bürgerliche Parlament ist eine korrupte Schwatzbude, die, wie Lenin sagte, nichts anderes verdient, als von den revolutionären Volksmassen auseinandergejagt zu werden".
Die Entscheidung des BVerfG sortierte das Geflecht von Parteienprivileg (heute in Art. 21 Abs. 4 GG), Wahlkampfführungsfreiheit und der Geltung allgemeiner Gesetze. Danach darf die Ausstrahlung von Wahlwerbespots nicht schon deswegen verweigert werden, weil darin Verfassungsfeindliches geäußert wird. Allerdings dürfen die Parteien auch im Wahlkampf nur mit allgemein erlaubten Mitteln arbeiten. Das Parteienprivileg entbindet nicht von der Geltung des Strafrechts. Wahlkämpfer müssen daher mit Strafverfolgung rechnen, wenn ihre Wahlkampfbotschaften als Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung strafbar sind. Im Fall der beanstandeten marxistisch-leninistischen Wahlwerbespots ging es seinerzeit um den Vorwurf der Verunglimpfung des Staates (§ 90a StGB).
Keine Ausstrahlung nur bei evidentem und schwerwiegendem Rechtsverstoß
Der wohl wichtigste Satz für die Zulassung von Wahlwerbespots aus der Entscheidung von 1978 lautet aber, dass die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zur Zurückweisung nur dann befugt sind, "wenn der Verstoß gegen die allgemeinen Strafgesetze evident ist und nicht leicht wiegt". Damit ist die Latte für das Verbot eines Wahlwerbespots noch einmal deutlich höher gelegt als für eine strafrechtliche Verurteilung. Denn die strafrechtliche Verurteilung setzt nur voraus, dass ein Wahlwerbespot strafbar ist – nicht, dass diese Strafbarkeit auch evident ist. Zur Begründung berief sich das Gericht einerseits auf die hohe Bedeutung der Werbespots für den Wahlkampf und andererseits auf die hohe Fehleranfälligkeit der Entscheidung über Zulassung oder Ablehnung eines Spots, die oft unter hohem Zeitdruck getroffen werden muss.
In der Folge haben sich die Verwaltungsgerichte immer wieder im Wahlkampf in Eilverfahren mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob Rundfunkanstalten einzelne Wahlwerbespots zu Recht zurückgewiesen haben, weil ein evidenter und hinreichend gewichtiger Rechtsverstoß vorlag. Häufig ging es in diesen Fällen um rechtsextremistische Inhalte, vielfach haben die antragstellenden Parteien dabei Erfolg. Beispielsweise gab der Hessische VGH 2008 einem Eilantrag der NPD statt, sodass ein Wahlwerbespot mit der Forderung nach einer "Ausweisung aller kulturfremden Ausländer" ausgestrahlt werden musste. Nach Auffassung des Gerichtshofs lag jedenfalls kein evidenter Fall einer Volksverhetzung vor (Beschluss vom 04.01.2008 – 8 B 17/08). Aus ähnlichen Erwägungen verpflichtete auch das OVG Rheinland-Pfalz das ZDF zur Ausstrahlung eines Wahlwerbespots der rechtsextremen Kleinpartei "III. Weg", in dem das antisemitische Bild bedient wurde, wonach sich die "Völker (…) im Würgegriff der internationalen Hochfinanz" befänden (Beschluss vom 15.05.2019 – 2 B 10755/19).
Dass es auch Grenzen gibt, zeigt hingegen eine Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz zur Ablehnung eines Fernsehspots der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschland, die durch das BVerfG bestätigt wurde. Darin sollte eine Gewalt- und Sexorgie unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gezeigt werden (Beschluss vom 27.09.2005 – 2 B 11269/05 und Beschluss vom 06.03.2006 – 2 BvR 1545/05). Kürzlich hat das BVerfG überdies einen Eilantrag der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) abgelehnt, die daraufhin ihren Wahlwerbespot für die Aussendung im Fernsehen abwandeln musste. In der ursprünglichen Fassung war die MLPD-Spitzenkandidatin für einen Augenblick mit ihrem Buch "Die globale Umweltkatastrophe hat begonnen!" zu sehen. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg setzte sich vor Gericht mit seiner Auffassung durch, dass es sich um eine kommerzielle Werbung handele, die nicht gesendet werden müsse. Letztere Entscheidung erscheint zweifelhaft. Warum sollte eine Partei ihre vermeintliche Umweltkompetenz nicht mit dem Verweis auf ein Buch ihrer Spitzenkandidatin untermauern dürfen? Zudem entsteht eine Schieflage, wenn harmlose Buchtitel in einem Wahlwerbespot zur Ablehnung führen, zugleich aber unschädlich sein soll, wenn ein Spot die Grenzen der Strafbarkeit nicht nur aus-, sondern sogar überreizt.
Wie zeitgemäß sind die Maßstäbe für Wahlwerbespots?
Generell stellt sich die Frage, ob die 1978 entwickelten Grundsätze für Wahlwerbespots auch heute noch überzeugend sind. Dagegen ließe sich einwenden, dass die Bedeutung linear, also im klassischen Hörfunk- und Fernsehprogramm ausgestrahlter Wahlwerbesendungen abgenommen hat. Mit YouTube oder TikTok stehen heute ganz andere Verbreitungswege zur Verfügung. Andererseits werden dort oft nur Inhalte ausgespielt, die man sich mehr oder weniger selbst ausgesucht hat. Demgegenüber bietet die Sendung von Wahlwerbespots im linearen Programm nach wie vor die Chance, Wählerinnen und Wähler zu erreichen, die über die sozialen Medien nie nach einem Wahlwerbespot dieser Partei gesucht hätten.
Wahlkampfbeschränkungen laufen stets Gefahr, zum Problem im Wahlprüfungsverfahren zu werden. Denn zur Freiheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) gehört nicht nur die Freiheit bei der Stimmabgabe, sondern auch ein freier Willensbildungsprozess im Vorfeld. Die Wahlfreiheit garantiert damit grundsätzlich auch die Wahlkampfführungsfreiheit. Wird diese eingeschränkt, kann dies einen Wahlfehler begründen, der im äußersten Fall die Ungültigkeit der Wahl zur Folge haben kann. Dafür müssen zwar noch weitere Voraussetzungen wie beispielsweise die Mandatsrelevanz des Wahlfehlers hinzukommen. Gleichwohl scheint die Entscheidung von 1978 auch von dem Gedanken motiviert, Wahlfehler von vornherein zu vermeiden.
Was gilt für Wahlplakate?
Davon ausgehend stellt sich die Frage, ob die Rechtsprechung zu den Wahlwerbespots auch auf andere Wahlkampfmittel übertragen werden kann – insbesondere auf Plakate. Diese durchlaufen zwar keinen Prüfungsprozess durch eine Rundfunkanstalt. Bei strafbaren Inhalten kommt aber grundsätzlich ein ordnungsbehördliches Einschreiten in Betracht. Für Aufsehen sorgte beispielsweise das NPD-Wahlplakat mit der Parole "Migration tötet!". Nachdem die Instanzgerichte uneinheitlich entschieden hatten, gab das BVerwG im vergangenen Jahr einer Fortsetzungsfeststellungsklage statt. Die Parole ist nach Überzeugung des Gerichts nicht volksverhetzend, weshalb ein ordnungsbehördliches Vorgehen hiergegen unzulässig war (Urteil vom 26.04.2023, 6 C 8/21).
Zuvor hatte es beispielsweise das OVG Niedersachsen bezogen auf die vorgenannte Parole abgelehnt, die Rechtsprechung zu Wahlwerbespots auf ein ordnungsbehördliches Einschreiten gegen Wahlplakate zu übertragen (Beschluss vom 25.05.2019 – 11 ME 189/19). In einem Parallelverfahren in Sachsen zum gleichen Wahlplakat hatte auch das BVerfG – trotz geäußerter Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung – den Erlass einer Eilentscheidung im Wege der Folgenabwägung abgelehnt (Beschluss vom 24.05.2019 – 1 BvQ 45/19). Im Rückblick haben beide Entscheidungen – folgt man dem BVerwG in der Beurteilung des Wahlplakats – zu einem Wahlfehler geführt. Denn das Verbot rechtlich zulässiger Wahlparolen beeinträchtigt die Freiheit der Wahl. Ob geschmacklose Satire oder extremistische Parolen: Demokratische Freiheit ist nicht ohne Zumutungen zu haben – mögen die Wählerinnen und Wähler daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.
Prof. Dr. Matthias Friehe ist Qualifikationsprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden.