Wahlbeschwerde wegen niedrigen Frauenanteils im Bundestag erfolglos
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Eine Gruppe Frauen ist mit einer Wahlprüfungsbeschwerde wegen des geringen Anteils weiblicher Abgeordneter im Bundestag gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht verwarf die Beschwerde als unzulässig. Die Beschwerdeführerinnen hätten eine solche Pflicht des Gesetzgebers nicht gut genug begründet. Die Richter weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie nicht entscheiden mussten, ob ein solches sogenanntes Paritätsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.

Wahlprüfungsbeschwerde gegen Bundestagswahl 2017

Im aktuellen Bundestag sind nicht einmal ein Drittel (31,1%) der Abgeordneten Frauen - Verfechter einer Geschlechterquote bezweifeln deshalb die Gültigkeit der Wahl 2017. Die Beschwerde richtet sich gegen die ungleiche Verteilung der Mandate, die als strukturelles Problem kritisiert wird. Mit Ausnahme der Grünen und der Linken hätten alle größeren Parteien auf ihren Landeslisten mehr Männer als Frauen nominiert. Bei den Direktkandidaten sei das sogar überall so gewesen. Grund seien die "männlich geprägten Strukturen". Der geringe Frauenanteil im Bundestag sei also von vornherein absehbar gewesen. Das sagen die zehn Beschwerdeführerinnen. Sie sehen die Hälfte des Wahlvolks nicht angemessen repräsentiert und mehrere Grundrechte verletzt. Nach ihrer Auffassung wäre der Gesetzgeber verpflichtet, den Parteien vorzuschreiben, genauso viele Frauen wie Männer aufzustellen. Der Bundestag hatte den Einspruch gegen die Wahl, den damals noch ein Mann mit eingereicht hatte, 2019 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Wahlprüfungsbeschwerde in Karlsruhe.

Innenministerium: Wahlgrundsätze und Parteienfreiheit widersprechen Parität

Das Innenministerium vertrat in dem Verfahren die Ansicht, dass sich aus dem Grundgesetz kein derartiger Auftrag an den Gesetzgeber ableiten lasse. Im Gegenteil: Es werden "schwerwiegende Eingriffe" in die Wahlgrundsätze und die Parteienfreiheit befürchtet. Männliche Wahlbewerber könnten wegen der Quote von der Kandidatur ausgeschlossen sein. Und gerade kleineren Parteien dürfte es schwerfallen, die Vorgaben zu erfüllen, so das Ministerium.

BVerfG moniert nicht ausreichende Begründung der Beschwerde

Die Richter erklärten die Wahlprüfungsbeschwerde bereits für unzulässig. Soweit dem Bund über eine bestimmte Materie die Gesetzgebungskompetenz zugewiesen sei, habe er grundsätzlich zwar die Befugnis, nicht aber die Verpflichtung, Gesetze zu erlassen. Eine Handlungspflicht im Fall der Rüge eines gesetzgeberischen Unterlassens könne zwar bestehen, sei dann aber substantiiert darzulegen. Dass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers insbesondere im Wahlrecht auf eine bestimmte Maßnahme oder Regelung verdichtet sei, bedürfe einer besonderen Begründung.

Verstoß gegen passive Wahlrechtsgleichheit nicht begründet

Die Beschwerdeführerinnen hätten zunächst schon nicht hinreichend dargelegt, dass der Gesetzgeber aufgrund der passiven Wahlrechtsgleichheit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gehalten sei, bei der Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts Paritätsgesichtspunkten Rechnung zu tragen. Denn der Grundsatz der Gleichheit der Wahl gebiete, dass alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht möglichst in formal gleicher Weise ausüben können. Dieses Recht beinhalte, dass jeder Partei und jedem Wahlbewerber grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und Wahlverfahren offenstehen müssen. Gerade das Fehlen von Paritätsvorgaben im Bundestagswahlrecht könne der Chancengleichheit im Sinn von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG eher Rechnung tragen als Paritätsvorgaben. Dass sich vor diesem Hintergrund die paritätische Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts als Eingriff in das passive Wahlrecht darstellen könnte, werde nicht genügend erörtert. Eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verständnis der Wahlgleichheit in einem strengen und formalen Sinn finde nicht statt.

Fordert das Demokratieprinzip eine Parität?

Ferner hätten die Beschwerdeführerinnen nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, weshalb das Demokratieprinzip eine paritätische Geschlechterverteilung im Deutschen Bundestag und eine entsprechende gesetzliche Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts gebiete. Aufgrund des Grundsatzes der Gesamtrepräsentation komme es für die Vertretung des Volkes gerade nicht darauf an, dass sich das Parlament als verkleinertes Abbild des Elektorats darstellt. Dass der Grundsatz der Gesamtrepräsentation verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht genügt, hätten die Beschwerdeführerinnen nicht hinreichend dargelegt. Unabhängig von der Frage der Vereinbarkeit gruppen- beziehungsweise geschlechterbezogener Demokratiemodelle mit dem Grundgesetz werde jedenfalls nicht deutlich, dass Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur "Spiegelung" des Bevölkerungsanteils von Frauen und Männern im Deutschen Bundestag zu entnehmen wäre.

Auch Gleichstellung als Grund nicht ausreichend begründet

Die Beschwerdeführerinnen zeigen nach Auffassung der Verfassungsrichter auch nicht ausreichend auf, dass der Gesetzgeber aufgrund des Gleichstellungsgebots des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG zum Erlass von Paritätsgeboten im Wahlvorschlagsrecht verpflichtet ist. Bei der Wahrnehmung des Gleichstellungsauftrags im Wahlvorschlagsrecht habe der Gesetzgeber gleichwertige Verfassungsgüter zu berücksichtigen und ihnen angemessene Geltung zu verschaffen. Hierzu zählten die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und der Parteienfreiheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG. Die Beschwerdeführerinnen setzten sich aber bereits nicht hinreichend damit auseinander, inwieweit durch die von ihnen begehrten gesetzlichen Paritätsgebote in deren Schutzbereich eingegriffen würde. Auch werde von ihnen nicht hinreichend dargetan, dass der Gesetzgeber trotz der möglichen Eingriffe in die genannten Verfassungsgüter zur paritätischen Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts verpflichtet sei. Sie lassen außer Betracht, dass von den staatlichen Organen grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden ist, wie sie dem Gleichstellungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG Rechnung tragen, und es bleibt offen, weshalb diesem Auftrag im Bundestagswahlrecht ausschließlich durch die Anordnung von Paritätsgeboten Rechnung getragen werden kann.

Paritätsgesetze in zwei Ländern gescheitert

Auf Länderebene hatten Thüringen und Brandenburg versucht, ein Paritätsgesetz einzuführen. Danach wären die Listen für die Landtagswahl abwechselnd mit Männern und Frauen zu besetzen gewesen. Beide Gesetze wurden aber von den dortigen Verfassungsgerichten 2020 für nichtig erklärt. Und der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte 2018 eine Popularklage abgewiesen, die zum Ziel hatte, den Gesetzgeber zum Erlass eines Paritätsgesetzes zu verpflichten.

BVerfG, Beschluss vom 02.02.2021 - 2 BvC 46/19

Redaktion beck-aktuell, 2. Februar 2021 (ergänzt durch Material der dpa).