BVerwG: EuGH soll Fragen zu Sekundärmigration von anerkannten Flüchtlingen klären

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 27.06.2017 den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung von Fragen angerufen, die die Sekundärmigration von Ausländern betreffen, die bereits als Flüchtling in einem EU-Mitgliedstaat anerkannt worden sind. Insbesondere geht es um die in der Asylverfahrensrichtlinie eröffnete Möglichkeit, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn der Antragsteller bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat Flüchtlingsschutz erhalten hat. Bis zur EuGH-Entscheidung wurde das Revisionsverfahren ausgesetzt (Az.: 1 C 26.16).

Über Italien nach Deutschland eingereist

Der Kläger ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Eritreas. Er wurde in Italien als Flüchtling anerkannt und erhielt dort eine bis zum Februar 2015 gültige Aufenthaltserlaubnis sowie einen Reiseausweis mit gleicher Gültigkeit. Im September 2011 reiste er nach Deutschland ein und beantragte hier die Anerkennung als Asylberechtigter.

BAMF ordnet Abschiebung nach Italien an

Im Februar 2013 teilte das italienische Innenministerium der Bundespolizeidirektion seine Bereitschaft zur Rückübernahme des Klägers mit. Mit Bescheid vom Februar 2013 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) fest, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an.

Klage gegen Drittstaatenentscheidung in Vorinstanzen erfolglos

Die Klage hatte in den Vorinstanzen bezüglich der Drittstaatenentscheidung keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster hat dies damit begründet, dass dem Kläger kein Asylrecht nach Art. 16a GG zustehe, da er aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei (BeckRS 2016, 47532). Die Vermutung der Sicherheit im Drittstaat habe der Kläger laut OVG nicht entkräften können. Insbesondere liege im Fall der Rückführung nach Italien nicht die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung vor, die Art. 3 EMRK widersprechen würde.

BVerwG sieht mangels Einreise aus "Drittstaat" keine Rechtsgrundlage für BAMF-Bescheid

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers. Nach der Rechtsprechung des Ersten Revisionssenats des BVerwG kann die nach aktueller Rechtslage in § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG geregelte Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat keine Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid darstellen. Denn sichere Drittstaaten seien in unionsrechtskonformer Auslegung dieser Regelung nur Staaten, die keine EU-Mitgliedstaaten sind. Damit hängt laut BVerwG der Erfolg der Revision davon ab, ob die Entscheidung, kein Asylverfahren durchzuführen, in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgedeutet werden kann.

Voraussetzung für Unzulässigkeitsentscheidung

Nach dieser mit Wirkung vom August 2016 geschaffenen Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Für den hier vorliegenden Fall einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung ermächtigte bereits Art. 25 Abs. 2 Buchstabe a der EU-Asylverfahrensrichtlinie von 2005 zu einer solchen Regelung. Das BVerwG sieht jedoch Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob eine Unzulässigkeitsentscheidung auch dann getroffen werden darf, wenn die Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller bereits internationalen Schutz gewährt hat (hier: Italien), den Anforderungen der Art. 20 ff. der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU nicht genügen, ohne bereits gegen Art. 3 EMRK zu verstoßen. Klärungsbedarf sieht das BVerwG auch in Bezug auf die Rechtsfolgen einer im behördlichen Verfahren unterbliebenen Anhörung, wenn es sich – wie bei der Unzulässigkeitsentscheidung – um eine gebundene Entscheidung handelt.

BVerwG, Beschluss vom 27.06.2017 - 1 C 26.16

Redaktion beck-aktuell, 28. Juni 2017.

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