In Zeiten knappen Wohnraums häufen sich Eigenbedarfskündigungen – und nicht wenige beruhen auf einem vorgetäuschten Einzugswunsch von Vermieterinnen und Vermietern oder deren Familien- bzw. Haushaltsangehörigen. Hintergrund ist, dass ein unbefristeter Wohnraummietvertrag nicht ohne Weiteres gekündigt werden kann, sondern meist eines Kündigungsgrunds – etwa wegen Eigenbedarfs – bedarf. Der Vermieter-"Joker" ist hier Nr. 2 – der sogenannte Eigenbedarf.
Zwar ist es illegal, Eigenbedarf nur vorzugeben, um so eine lukrative Neuvermietung oder einen Verkauf zu ermöglichen. Mieterinnen und Mieter können dann nur noch hoffen, dass Amts- und Landgerichte in der Beweisaufnahme die Zeuginnen und Zeugen kritisch würdigen – oder Härtegründe liegen vor. Nachdem die Ampel-Regierung manche Vorgaben der Koalitionsvereinbarung ("Mehr Fortschritt wagen") im Wohnungsmietrecht nicht umgesetzt hat, sind es nun die Instanzgerichte, die im Eigenbedarfsrecht teilweise neue Wege zum Schutz der Mieterinnen und Mieter gehen.
Hamburg: Verurteilung wegen Betrugs und Einzug des Kaufpreises
Aufgefallen ist zunächst vor einigen Monaten eine noch nicht rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung des AG Hamburg Bergedorf (Urteil vom 29.05.2024 – 412 Ds 25/23). Eine Vermieterin wurde, weil sie die Mieter nicht über den Wegfall des ausgesprochenen Eigenbedarfswunsches informiert hatte, zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 600 Euro wegen Betrugs durch Unterlassen verurteilt. Zugleich wurde die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 331.842,89 Euro angeordnet. Die Vermieterin hatte, statt selbst in das Objekt einzuziehen, das Haus veräußert. Der Nettogewinn nach Steuern belief sich auf den angeordneten Wertersatz.
Neu war diese strafrechtliche Linie des AG insofern, als es neben der durchaus erheblichen strafrechtlichen Verurteilung auch noch einen hohen Einziehungsbetrag anordnete. Besonders an dieser Entscheidung war aber auch, dass das AG die Aufklärungspflicht der Vermieterin über den Wegfall des geltend gemachten Eigenbedarfs weit über den Ablauf der Kündigungsfrist bejahte, noch bis unmittelbar vor Auszug des Mieters. Hier weichen die Strafgerichte von der Linie des BGH in Zivilsachen ab, der eine solche Aufklärungspflicht nur bis zum Ende der Kündigungsfrist bejaht. "Einheit der Rechtsordnung" geht anders. Die Sache ist nach eingelegtem Rechtsmittel beim LG Hamburg anhängig. Die Lösung der Diskrepanz zwischen Zivil- und Strafrecht kann ggf. bei der Frage des Verbotsirrtums liegen, falls sich die Vermieterin auf die Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen verlassen hat.
LG Berlin bejaht Auskunftsanspruch über neue Miete
Zeitlich parallel zu dieser vermieterstrengen Entwicklung gibt es nun aber eine weitere, von der 66. Zivilkammer des LG Berlin II (Urteil vom 28.02.2024 – 66 S 178/22) eröffnete Spur, die geradezu revolutionär anmutet. Der vereinfachte Fall: Ein Vermieter kündigt seinem Mieter wegen Eigenbedarfs, der Mieter zieht aus, der Vermieter setzt aber den Eigenbedarf nicht um, sondern vermietet einfach an einen neuen Mieter zu einer deutlich höheren Miete weiter. Der ausgezogene Mieter verlangte nun vom alten Vermieter Auskunft über die Höhe der neu einkassierten Miete. Er erhielt aber nur einen die Miethöhe betreffend geschwärzten Mietvertrag. Während das AG die Auskunftsklage noch zurückgewiesen hatte, gab das LG der Berufung des Mieters statt. Ein solcher Anspruch gegen den Vermieter bestehe, denn der Mieter habe möglicherweise einen Anspruch auf die Miete, die der Vermieter nun vom neuen Mieter erhalte.
Zahlt demnach der neue Mieter an den Vermieter plötzlich 1.500 Euro Miete – statt wie der ausgezogene damals nur 800 Euro – so steht danach dem alten Mieter ein Anspruch auf die vom Vermieter neu eingenommene Miete zu. Mit Details musste sich das LG im Rahmen des Auskunftsanspruchs noch nicht beschäftigen – so etwa nicht damit, ob dieser Anspruch nur auf den Mehrbetrag der vom neuen Mieter gezahlten Miete im Verhältnis zu der vom Mieter seinerzeit selbst gezahlten Miete gerichtet ist (im Beispiel also dann 700 Euro), wie etwaige Indexmieten im neuen Mietverhältnis zu berücksichtigen sind, usw. Denkt man dies weiter, so ist es ohne Weiteres möglich, dass täuschende Vermieterinnen und Vermieter viele Jahre den Mehrerlös an ihre Altmieterinnen und -mieter zu erstatten haben und ihr strafrechtlich relevantes Erfolgsmodell platzt.
Mehr-Miete als Surrogat für die Wohnnutzung?
Das LG begründet dies in seiner Entscheidung unter Hinweis auf den möglichen Anspruch des Mieters aus § 285 Abs. 1 BGB und das allen Jurastudentinnen und – studenten gut bekannte "stellvertretende Commodum" (früher § 281 BGB). Voraussetzung hierfür ist eine Identität zwischen dem eingebüßten Gegenstand einerseits und dem Surrogat, das dem Vermieter bzw. der Vermieterin von Seiten des neuen Mieters bzw. der neuen Mieterin nun zufließt. Während der BGH eine solche Identität im Falle einer Vertreibung von einer gemieteten Parkplatzfläche bei späterer Nutzung als Marktfläche verneinte und hierfür in der Literatur erheblich kritisiert wurde, gibt es im Falle des LG Berlin II an der Identität keinen Zweifel: Wohnnutzung ist Wohnnutzung.
Besonders verärgert haben dürfte das LG Berlin konkret auch der Umstand, dass die Wohnung zu einem Zeitpunkt neu vermietet wurde, als der Altmieter die Wiedereinräumung des Besitzes beim Gericht geltend machte. Der Vermieter hatte nichts Besseres zu tun, als flugs die Wohnung neu zu vermieten mit der Folge, dass der Anspruch des Altmieters unmöglich wurde (§ 275 BGB). Zwischenzeitlich war der Vermieter schon zum Schadensersatz hinsichtlich der Umzugskosten verurteilt worden. Das LG dazu: "Nach dieser gerichtlichen Feststellung der Schadensersatzpflicht erweckt das plötzliche Vorgehen der Beklagten im November 2021 den Eindruck, dass die Wohnung eilig beiseite geschafft werden sollte, um endgültig jede Möglichkeit des Klägers zu vereiteln, weiter einen Wiedereinräumungsanspruch zu verfolgen."
Wie weit gehen Erlös- und Schadenersatzanspruch?
Es geht also bei diesem Surrogat, das der Mieter oder die Mieterin erhalten kann, nicht etwa um den ohnehin allseits anerkannten Schaden, der aus dem rechtlich unnötigen Auszug resultiert. Dazu zählen ggf. Umzugs- und Maklerkosten, vor allem aber eine vielleicht deutlich höhere Miete für eine vergleichbare Wohnung. Diese Positionen sind als Schadensersatz durch Vermieterinnen und Vermieter, die über den Eigenbedarf getäuscht bzw. über dessen Wegfall nicht aufgeklärt haben, ohnehin zu ersetzen. Es geht um eine andere Perspektive: nicht auf das Minus in der Kasse des Mieters bzw. der Mieterin, sondern auf die Sicht des Vermieters bzw. der Vermieterin, der oder die nun meint, Gewinn gemacht zu haben und sich über die höhere Mieteinnahme freut. Diese Summe kann – auch über die Jahre gerechnet – durchaus höher sein als etwa die auch über Jahre gerechnete Differenzmiete aufseiten der alten Mietpartei.
Vieles ist aber noch unklar: Wie ist das Verhältnis beider Ansprüche (Schadensersatz einerseits, Erlösersatz andererseits) zueinander? Können beide Forderungen gar kumulativ geltend gemacht werden oder gibt es hier eine Deckelung durch den höchstmöglichen Betrag? Was passiert, wenn der neue Mieter bzw. die neue Mieterin nach einiger Zeit kündigt – ist der dann erzielte Erlös auch noch relevant für den Anspruch des Altmieters bzw. der Altmieterin? Die Fragen, die sich Rechtsprechung und Literatur für den Schadensersatzanspruch bei der Differenz zur Miete für eine neue Wohnung stellen, gelten auch beim Surrogatanspruch. Können geschasste Mieterinnen und Mieter sogar (vgl. § 544 BGB) 30 Jahre lang den zu zahlenden Mehrbetrag der in der neuen Wohnung gezahlten Miete als Schadensersatz verlangen? Und gilt nicht die Dreißigjahresfrist für den Erlösanspruch entsprechend? Oder ist stattdessen ein Anspruch auf zukünftige Leistungen geltend zu machen bzw. nur ein Feststellungsantrag zu stellen, weil das Schicksal des neuen Mietvertrags und seiner Laufzeit naturgemäß noch nicht feststeht?
Man darf nicht vergessen, dass eine vorgetäuschte Eigenbedarfskündigung eine unwirksame Kündigung ist. Dies hat zur Folge, dass das Mietverhältnis zwischen den Vertragsparteien fortbesteht. Gekündigte Mieterinnen und Mieter, die aufgrund des vermeintlichen Eigenbedarfs ausziehen, können oft nur deshalb nicht mehr in ihre alte Wohnung zurück, weil diese verkauft oder weitervermietet worden ist. Dann erlischt ihr nach wie vor bestehender Erfüllungsanspruch auf Einräumung des Besitzes aufgrund rechtlicher und tatsächlicher Unmöglichkeit. Einen solchen Vertragsbruch zivilrechtlich zu pönalisieren erscheint bei genauer Betrachtung durchaus richtig.
Dr. Michael Selk ist Rechtsanwalt in Hamburg sowie Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Bau- und Architektenrecht sowie Strafrecht.