Strafvorschriften in der DDR früher liberalisiert
Die Nationalsozialisten hatten den Paragrafen, der noch aus der Kaiserzeit stammte, verschärft. Die Bundesrepublik hatte die verschärfte Regelung zuerst übernommen. Zwar wurde die Bestrafung erwachsener Homosexueller wegen "Unzucht“ 1969 abgeschafft. Endgültig gestrichen wurde § 175 StGB aber erst 1994. Geschätzt wird, dass auf seiner Basis in der Bundesrepublik rund 100.000 Prozesse geführt und 64.000 Menschen verurteilt wurden. Die DDR liberalisierte ihre Strafvorschriften früher als die Bundesrepublik. Verurteilt wurden insgesamt etwa 4.000 Männer. Faktisch wurde der Paragraf 175 in der DDR seit Ende der 1950er Jahre nicht mehr angewendet.
Von eingetragener Partnerschaft bis zur Ehe für alle
Seit der Streichung im vereinigten Deutschland 1994 ist einiges passiert: 2001 wird die eingetragene Partnerschaft für homosexuelle Paare ermöglicht, vier Jahre später wird die Adoption leiblicher Kinder des Partners erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet später, dass auch Adoptivkinder des Partners adoptiert werden dürfen und dass die steuerliche Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften gegenüber Ehen beim Ehegattensplitting verfassungswidrig ist. Im Juni 2017 beschließt der Bundestag schließlich die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare - die Ehe für alle. Außerdem werden homosexuelle Justizopfer per Gesetz offiziell rehabilitiert: Frühere Urteile werden aufgehoben und eine finanzielle Entschädigung von 3.000 Euro pro Person sowie 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr im Gefängnis werden beschlossen.
LSVD: Viel erreicht, aber "homophobe" Stimmen werden lauter
"In Deutschland wurde viel an gesellschaftlicher Freiheit und rechtlicher Gleichstellung erkämpft. Immer mehr Lesben und Schwule leben selbstbewusst und offen", sagte Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands LSVD, anlässlich des Jahrestags der Streichung von § 175 StGB. Trotzdem, so Ulrich, gehörten Beleidigungen, Diskriminierungen und Übergriffe bis hin zur offenen Gewalt weiterhin zur Wirklichkeit in Deutschland. "Homophobe Stimmen sind sogar in jüngster Zeit wieder deutlich lautstärker geworden.“
Liberale, Grüne und Linke: Schutz der sexuellen Identität ins Grundgesetz
"Politische Stimmungslagen dürfen nicht zur Gefahr für Freiheit und Würde des Einzelnen werden“, warnte vor diesem Hintergrund der Sprecher für Lesben- und Schwulenpolitik der FDP-Fraktion, Jens Brandenburg. Seine Fraktion hat gemeinsam mit Grünen und Linken im Bundestag eine Initiative dafür gestartet, die sexuelle Identität ins Grundgesetz aufzunehmen. Erreicht werden soll damit, dass Menschen, die schwul, bisexuell oder transsexuell sind, vor Diskriminierung besser geschützt werden. Das solle "das Grundgesetz unmissverständlich im Wortlaut garantieren“, sagte Brandenburg. Die für diese Verfassungsänderung notwendigen Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat müssen aber noch organisiert werden.
Hoffen auf Unterstützung der Zivilgesellschaft
"70 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes muss darin endlich auch die letzte von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppe explizit genannt werden", sagte die bei den Grünen zuständige Sprecherin für das Thema, Ulle Schauws. Die Ehe für alle sei ein wichtiger Meilenstein gewesen. "Ich bin auch hier optimistisch, dass wir mit einer Mehrheit - auch dank des politischen Drucks und Unterstützung der Zivilgesellschaft - diesen Punkt bald in Art. 3 GG stehen haben werden.“
Vergleich mit anderen Ländern
Insgesamt ist die rechtliche Lage für Schwule und Lesben in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern fortschrittlich. Nach Informationen der Bundesregierung kann auch heute noch in sechs Ländern für Homosexualität die Todesstrafe verhängt werden: Im Iran, im Sudan, im Jemen, in Mauretanien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. In mindestens zehn Staaten drohen außerdem Strafen wie Stockhiebe und in vielen Ländern, vor allem in Asien und Afrika, stehen laut Bundesregierung lange Gefängnisstrafen auf Homosexualität.