Der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hatte am 19.08.2003 kurzfristig zu einer Pressekonferenz geladen. Schill kam ungebeten dazu und musste mit anhören, wie von Beust die Öffentlichkeit mit seiner Entlassung als Zweiter Bürgermeister und Innensenator überraschte.
Von Beusts Begründung für den Rauswurf hatte das Zeug zum Skandal: Schill habe ihm am Morgen gedroht, im Fall einer Entlassung seines in die Kritik geratenen Staatsrates Walter Wellinghausen – er war ein enger Schill-Vertrauter – ein angebliches homosexuelles Verhältnis von ihm – von Beust – mit Justizsenator Roger Kusch (CDU) publik zu machen. Schills Behauptung sei falsch und die Drohung ungeheuerlich, sagte von Beust, der zuvor noch nie öffentlich über seine Homosexualität gesprochen hatte. "Ich hab' ihn angeschrien, er solle sich zum Teufel scheren", sagte von Beust rückblickend der "Zeit".
Schill wies postwendend zurück, von Beust gedroht zu haben. Er selbst habe niemals daran gedacht, von Beust als Homosexuellen zu outen. Nur um dann – sich quasi selbst konterkarierend – nachzulegen: Verschiedene Zeugen hätten ihm gesagt, dass es in der Wohnung, die von Beust an seinen früheren Studienfreund Kusch vermietet hatte, "zu gewissen Dingen kommt, die auf Liebesakte schließen lassen", schwadronierte Schill.
Schill sorgte als "Richter Gnadenlos" für Schlagzeilen
Für von Beust aber stand nach dem morgendlichen Besuch in seinem Büro fest: Schill sei "charakterlich nicht geeignet, das Amt eines Hamburger Senators weiterzuführen", so sein Fazit in der legendären Pressekonferenz. Es war das Ende seines rechts-konservativen Regierungsexperiments mit dem Populisten Schill, der vor seiner Politikerkarriere als "Richter Gnadenlos" für Schlagzeilen gesorgt hatte – und der nach der Pressekonferenz mal wieder seine ganz eigene Deutung der Dinge hatte. "Das politische Geschäft hat sich für mich als so schmutziges Geschäft erwiesen", sagte Schill in Mikrofone. Er wolle "mit solchen Schweinereien" nichts mehr zu tun haben.
Wie aber konnte es so weit kommen, dass in der bürgerlich-liberalen Hansestadt ein populistischer "Law and Order"-Provokateur mit seiner Ein-Themen-Partei wie Schill erst salonfähig und dann auch noch Innensenator werden konnte? Der seit Jahrzehnten regierenden SPD unter Bürgermeister Ortwin Runde wurde vor der Bürgerschaftswahl 2001 vorgeworfen, das Thema innere Sicherheit zu vernachlässigen, Hamburg wurde als "Hauptstadt des Verbrechens" tituliert. Auch Rundes Versuch, vier Monate vor der Wahl mit der Installierung von Olaf Scholz zum Innensenator die offene Flanke beim Thema innere Sicherheit zu schließen, brachte wenig in der Wählergunst.
Eine passende Bühne für den politischen Seiteneinsteiger Schill, der als Amtsrichter für seine harten Urteile berühmt-berüchtigt war und gerade die Boulevardmedien beständig mit Schlagzeilen versorgte. Als seine Mission sah er mit der Partei Rechtsstaatlicher Offensive den Kampf gegen das Verbrechen und eine seiner Ansicht nach zu liberale Justiz an. Dies und die Unzufriedenheit mit der SPD spülten den Juristen im Herbst 2001 mit einem Wahlergebnis von 19,4% auf den Sessel des Innensenators – dank der Einigung mit von Beusts CDU.
Thering: Keine Koalition mit der AfD
"Es ist im Nachhinein immer leicht zu sagen, dass die Zusammenarbeit ein Fehler war", sagte der aktuelle CDU-Fraktionschef Dennis Thering der Deutschen Presse-Agentur. Parallelen zwischen der Schill-Partei und der heutigen Hamburger AfD, die von Schills früherem Büroleiter Dirk Nockemann angeführt wird, herzustellen, sei extrem schwierig. Es sei eine komplett andere Zeit gewesen, und die AfD sei "eine offen rassistische und in Teilen antisemitische Partei", sagte Thering. Klar sei aber: "Mit der AfD werden wir keine Koalition eingehen."
Dem AfD-Fraktionschef Nockemann, der 2003 nach Schills Rauswurf Innensenator wurde, warf er vor, sich mit der fortlaufenden Radikalisierung der AfD gemein gemacht zu haben. "Und er ist ein entscheidender Teil dieser Partei", sagte Thering. Nockemann selbst wollte auf dpa-Anfrage nicht konkret auf die Zeit an der Seite Schills und deren Ende eingehen.
Schill lebt jetzt in Brasilien
Und Schill? Der ist nach seiner politischen Karriere nach Brasilien gezogen, wo er immer wieder Interviews in den Favelas von Rio gibt. "Ronald Schills Leben in Rio de Janeiro ist sexy, schillernd und gechillt", hieß es etwa in einem Clip der Vox-Sendung "Goodbye Deutschland". Seinen Lebensunterhalt bessert er durch die Teilnahme an TV-Formaten wie "Adam sucht Eva" oder "Promis unter Palmen" auf – oft leicht bekleidet. Und für ihn gilt laut eigener Aussage bei "Goodbye Deutschland": "Ich mach mir gar keine Gedanken, über das, was die Leute über mich in Deutschland denken. Das ist mir völlig egal."