Völkerrechtler im Interview: "Einen Friedensvertrag zu schreiben, ist wie ein Gesetzgebungsprozess"
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Trump hat angekündigt, den Krieg in der Ukraine schnell zu beenden. Könnte es bald ein Friedensabkommen geben? Markus Kotzur erklärt im Gespräch, wie man einen solchen Vertrag schreibt, was drinstehen sollte und welche Rolle es spielt, wenn Trump droht, keine Waffen mehr zu liefern.

beck-aktuell: Donald Trump ist seit vergangener Woche wieder US-Präsident. Er hat angekündigt, den Krieg in der Ukraine "binnen eines Tages" zu beenden. Dass dies nicht so schnell gehen würde, war schon vorher den meisten klar, doch könnte nun eher früher als später ein Friedensabkommen ausgehandelt werden. Welche historischen Vorbilder gibt es da dafür?

Kotzur: Es gibt sehr viele Vorbilder, die bis in die Antike zurückgehen und das alte Ägypten oder die griechische Stadtstaatenwelt betreffen. Vielleicht die berühmtesten völkerrechtlichen Vorbilder sind die westfälischen Friedensverträge von Münster und Osnabrück 1648, mit denen das moderne Völkerrecht quasi zu existieren beginnt, und nach dem Ersten Weltkrieg der Versailler Vertrag beziehungsweise die Pariser Vorortverträge. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es bekanntlich keine echten Friedensverträge.

Friedensverträge haben dabei unterschiedliche Typologien: Es gibt solche, die nur zwischen den am Konflikt beteiligten Parteien geschlossen werden. Und es gibt Verträge, bei denen auch andere Akteure beteiligt sind. Im Fall der Ukraine wäre es vermutlich Letzteres.

Die essentialia negotii eines Friedensvertrags

beck-aktuell: Mögliche Inhalte zu diskutieren, ist aktuell natürlich noch spekulativ, daher ganz allgemein: Was schreibt man eigentlich in ein Friedensabkommen rein? Gibt es dafür essentialia negotii?

Kotzur: Das ist natürlich eine ganze Menge, was in einen klassischen Friedensvertrag hineingeschrieben wird. Bei einem Vertrag, der den Konflikt endgültig beenden soll, würde man sicherlich die Frage der territorialen Aufteilung klären, also die endgültige Grenzziehung. Zudem werden in einem solchen Vertrag die Kriegsfolgen geregelt, also Reparationslasten und andere Leistungen. Man versucht i.d.R. auch Regelungen zu finden, die verhindern, dass der Konflikt neuerlich eskaliert, also Sicherungs- oder Ausgleichsmechanismen. Etwaige Teilstreitigkeiten, die noch nicht gelöst wurden, werden ggf. einer Schiedsgerichtsbarkeit oder ähnlichem überantwortet. Wichtig ist auch die Frage, was mit den Kriegsgefangenen passiert. 

beck-aktuell: Wenn wir die Ukraine als Beispiel nehmen: Woran ließe sich noch denken?

Kotzur: Da wird es perspektivisch auch um Zugänge zu Häfen und Infrastruktur gehen, wenn Sie etwa an das Getreideabkommen oder die Gaslieferungen denken. Diese Punkte werden da eine zentrale Rolle spielen.

Solche Friedensverhandlungen sind aber immer sehr situationsabhängig. Wenn Sie an die Situation nach 1918 denken – die Niederlage des Deutschen Reiches, der Krieg war zu Ende, die Alliierten hatten gewonnen – da konnte man ein entsprechendes Vertragsregime aufsetzen. Nach 1945 funktionierte das nicht, weil der Kalte Krieg vor der Tür stand und die territoriale Frage, was mit Deutschland geschehen sollte, nicht geklärt werden konnte. Deshalb gab es damals keine friedensvertragliche Lösung im engeren Sinne, sondern es wurden Einzelfragen geregelt, wie Reparationsleistungen.

Keine supranationalen Juristenteams

beck-aktuell: Wie läuft der ganze Prozess ab? Sitzen bei den Verhandlungen bereits Juristinnen und Juristen mit am Tisch?

Kotzur: Wenn wir den Fall der Ukraine nehmen, wäre es sicher so, dass am Anfang die politischen Akteure am Tisch sitzen, die ein Interesse an den Verhandlungen haben. Es könnte etwa zuerst ein bilaterales Treffen zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten geben, die ausloten, wohin die Reise gehen soll. Dann könnte andere Akteure – etwa die EU – an den Verhandlungstisch kommen, ehe man sich darauf verständigt, ob überhaupt eine vertragliche Einigung erzielt werden und was im Zweifel darinstehen soll. Der entscheidende Verhandlungspartner muss freilich in allen Fällen die Ukraine sein. Über deren Kopf als souveräner Staat hinweg wäre keine Verhandlungslösung möglich. 

Im Verhandlungsfall würde es auch Verhandlungsdelegationen geben, in denen typischerweise Politikerinnen und Politiker aus den entsprechenden Ministerien, sowie Diplomatinnen und Diplomaten vertreten sind. Und dann würde man natürlich auch Leute mit juristischer Expertise dazu holen – sei es, dass sie mit am Verhandlungstisch sitzen oder die Backoffice-Arbeit machen und dort die Formulierungen des Vertrages vorschlagen, respektive juristisch überprüfen.

beck-aktuell: Hat dann jeder beteiligte Staat seine eigenen Rechtsexpertinnen und -experten dabei? Oder greift man ggf. auf internationale Teams zurück, etwa von den Vereinten Nationen?

Kotzur: Das sind sicherlich größere Delegationen, die man sich vorstellen darf. Aber es gibt nicht in dem Sinne "Teams", etwa von den Vereinten Nationen, die dabei assistieren. Juristinnen und Juristen aus den Außenministerien und den Justizministerien der beteiligten Staaten werden sicherlich daran mitarbeiten. Oft werden auch Universitätsprofessorinnen und -professoren als Gutachter beauftragt. Wer an solchen Verhandlungen beteiligt ist, hängt aber letztlich immer auch davon ab, worauf sich die Parteien einigen und welche Unterstützung man dafür braucht. 

Waffenlieferungen: Übt Trump Zwang aus?

beck-aktuell: Wie schätzen Sie die Rolle der juristischen Expertinnen und Experten ein, die dann hinzugezogen werden? Ist man Berater im engeren Sinne oder übersetzt man einfach das Verhandlungsergebnis in juristische Termini?

Kotzur: Ich würde sagen: sowohl als auch. Die großen politischen Leitlinien werden sicherlich nicht von den Juristinnen und Juristen gezogen, sondern von den politischen Akteuren. Und die Juristinnen und Juristen müssen am Ende schauen, was möglich ist und was man umsetzen kann. 

Bei Friedensverträgen haben wir ein völkerrechtlich besonders interessantes Problem und darauf muss man sehr genau achten: In der Wiener Vertragsrechtskonvention gibt es eine Klausel, wonach Verträge, die unter Zwang zustande gekommen sind, von Anfang an nichtig sind. Das ist bei Friedensverträgen eine besonders schwierige Geschichte, weil man schnell das Gefühl hat, dass ein Aggressor der unterlegenen Partei eine Regelung aufnötigt…

beck-aktuell: …oder im Fall der Ukraine sogar ein unterstützender Staat, wenn die Amerikaner sagen: Entweder ihr stimmt zu oder wir liefern nichts mehr…

Kotzur: Das sind sehr heikle juristische Probleme. Dann wäre die Frage: Ist das eine Zwangswirkung? Schließlich ist kein Staat der Welt verpflichtet, diese Waffenlieferungen und Hilfeleistungen zu geben, das ist die souveräne Entscheidung eines jeden Staates. Da sind sicherlich Juristinnen und Juristen gefragt, sehr genau auf die Formulierungen zu achten. Auch bei etwaigen Sicherheitsgarantien und den Automatismen, die damit ausgelöst werden – etwa eine militärische Beistandspflicht – muss man sehr genau hinschauen, denn sie können unter Umständen dramatische Folgen haben. 

beck-aktuell: Sie haben angesprochen, dass Friedensverträge nicht unter Zwang zustande kommen dürfen. Setzt das Völkerrecht solchen Verträgen auch darüber hinaus einen strikten Rahmen oder ist es am Ende eine dehnbare Materie, die sich der Machtpolitik beugen muss?

Kotzur: Das zwingende Völkerrecht setzt nur ultimative Maßstäbe: Es darf nichts geregelt werden, das gegen zwingende Menschenrechte verstößt. Sie könnten also keinen Vertrag schließen, in dem Vertreibungen von Bevölkerungsgruppen, Deportationspolitik oder gar Ausrottung oder etwas Vergleichbares vereinbart wird. Aber das ist ein sehr restriktiver äußerer Rahmen. Man kann es nicht etwa mit dem Rahmen vergleichen, den das Grundgesetz dem deutschen Gesetzgeber zieht.

"Ein Waffenstillstand kann schnell kommen, ein Friedensvertrag braucht Monate"

beck-aktuell: Wie muss man sich ganz konkret das juristische Abfassen eines solchen Vertrags vorstellen? Übt man da "hartes" Völkerrecht oder eher angewandte Diplomatie?

Kotzur: Das Ganze hat sicher einen primär politischen Kern. Das kann man sich in etwa vorstellen wie ein Gesetzgebungsverfahren: Man einigt sich zunächst einmal inhaltlich, wie die Regelung aussehen soll. Sollen Reparationen gezahlt werden, ja oder nein? Wer soll die Herrschaft über welches Territorium haben? Was passiert mit den Kriegsgefangenen? Wenn diese politischen Entscheidungen getroffen sind, dann muss man – und hier beginnt die juristische Expertise – das Ganze ausformulieren. Die Rechtsexpertinnen und -experten erstellen also einen Entwurf dieses Vertrags, wie man zunächst einen Gesetzentwurf erstellen würde. 

Bei völkerrechtlichen Verträgen hat man noch das Problem, dass diese Formulierungen in unterschiedlichen Vertragssprachen abgefasst werden und die Parteien darauf achten müssen, dass die Formulierungen auch identisch sind. Außerdem wird man sehr um Detailformulierungen ringen, wie offen oder konkret man sie halten will, dass die rechtssicher und hinreichend bestimmt sind. All das sind Aufgaben, bei denen die Völkerrechtler ins Spiel kommen, um eine Einigung in einen Text umzusetzen, der auch tatsächlich in der Praxis anwendbar ist und nicht die Frage ausklammert: Was passiert, wenn eine Partei gegen diesen Vertrag verstößt? 

beck-aktuell: Zum Schluss noch einmal zurück zu Präsident Trumps Ankündigung, binnen eines Tages diesen Krieg zu beenden: Wie lange würde nach Ihrer Einschätzung der Prozess bis zu einem richtigen Friedensvertrag dauern, sobald alle Parteien bereit wären, miteinander zu reden?

Kotzur: Es ist sehr schwer, da eine Prognose abzugeben. Was schnell gehen kann, wenn es eine politische Entscheidung gibt, ist eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand. Das ist wahrscheinlich auch das, was Trump gemeint hat. Eine vertragliche Regelung braucht einen Prozess, der sicher Monate oder noch länger dauern würde. 

Denkbar ist aber auch, dass man eine Art vertragliche Regelung zu finden versucht, die den Konflikt einfriert. Es scheint mir schwer denkbar, dass es jetzt einen Friedensvertrag geben könnte, in dem endgültig das ukrainische Territorium, das gegenwärtig von Russland besetzt ist, Russland zugesprochen wird. Da fehlt es meiner Ansicht nach an der Bereitschaft der Ukraine und natürlich wären auch die USA und die westliche Welt schlecht beraten, dem Aggressorstaat Territorialgewinne rechtmäßig zuzuordnen – zumal diese ja eindeutig unter Verstoß gegen Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta erreicht wurden und die Grundfeste einer regelbasierten internationalen Ordnung erschüttern.

beck-aktuell: Herr Professor Kotzur, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Prof. Dr. Markus Kotzur ist Inhaber des Lehrstuhls für Völkerrecht und Europarecht an der Universität Hamburg.

Die Fragen stellte Maximilian Amos.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 29. Januar 2025.