VGH München: Mit Neuerteilung einer Fahrerlaubnis kann bis Abschluss eines Strafverfahrens gewartet werden

FeV §§ 11 I und III, 20 I 1, 22 II; VwGO § 123 I 2

Der Verwaltungsgerichtshof München hat entschieden, dass mit der Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis abgewartet werden kann, bis ein strafrechtliches Verfahren abgeschlossen ist. § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG untersage der Fahrerlaubnisbehörde nur in einem Entziehungsverfahren, nicht aber in einem Erteilungsverfahren, den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, zu berücksichtigen, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist. Auch die Unschuldsvermutung stehe dem nicht entgegen, vielmehr gelte es, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. (redaktioneller Leitsatz)

VGH München, Beschluss vom 17.08.2017 - 11 CE 17.1437 (VG Regensburg), BeckRS 2017, 122958

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 18/2017 vom 14.09.2017

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Sachverhalt

Der Antragsteller (und jetzige Beschwerdeführer) begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet wird, ihm vorläufig eine Fahrerlaubnis zu erteilen. Wegen einer Trunkenheitsfahrt mit 1,16 Promille (§ 316 StGB) erhielt der Antragsteller einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe und der Anordnung einer Sperrfrist von 11 Monaten. Die Sperrfrist sollte am 07.06.2017 enden.

Am 07.04.2017 beantragte der Antragsteller bei der zuständigen Behörde die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis. Am 02.06.2017 erhielt die Behörde eine Mitteilung einer Polizeiinspektion, wonach gegen den Antragsteller wegen Fahrerns ohne Fahrerlaubnis ermittelt werde. Dieser Verstoß sei am 21.03.2017 begangen worden. Die Behörde teilte nach Erhalt dieser polizeilichen Mitteilung dem Antragsteller mit, dass über seinen Antrag auf Neuerteilung nicht entschieden werde, solange das Verfahren wegen des Verstoßes gegen § 21 StVG noch nicht abgeschlossen sei.

Am 12.06.2017 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht auf Erteilung einer Fahrerlaubnis. Er beantragte im Wege einstweiliger Anordnung ihm vorläufig eine Fahrerlaubnis «und wenn auch unter Auflagen» zu erteilen. Am 13.06.2017 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Über die Anklage und die Klage zum Verwaltungsgericht ist noch nicht entschieden. Das Verwaltungsgericht versagte aber den einstweiligen Rechtsschutz. Dagegen richtet sich die Beschwerde, über die im hier mitgeteilten Beschluss entschieden wurde.

Rechtliche Wertung

Der Antragsteller hatte mit der Beschwerde keinen Erfolg. Eine einstweilige Anordnung könne nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere, unzumutbare und nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dies gelte im Fahrerlaubnisrecht angesichts staatlicher Schutzpflichten für das Leben anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße.

Eine Fahrerlaubnis könne nur erteilt werden, wenn der Bewerber geeignet sei. Geeignet sei aber nicht, wer gegen verkehrsrechtliche Vorschriften wiederholt verstoße. Auch bei einem Fahren ohne Fahrerlaubnis komme die Entziehung einer Fahrerlaubnis in Betracht. Ein Regelbeispiel sei dies nach § 69 Abs. 2 StGB nicht.

Die Behörde sei auch weder durch die im Strafverfahren geltende Unschuldsvermutung noch durch § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG daran gehindert, den Ausgang des strafrechtlichen Ermittlungsverfahren abzuwarten. Es entspreche dem Grundgedanken des § 69 StGB, einander widersprechende Entscheidungen der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörden zu vermeiden.

Praxishinweis

Alltäglich ist das Verhalten des Antragstellers und Beschwerdeführers nicht. Um so wichtiger ist es für diejenigen, die solchen Klienten Rat zu erteilen haben, die Folgen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis klar zu beschreiben. Das Verhalten des Antragstellers hier führt zu einer erheblichen Verzögerung bei der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.

Die Klage und die Beschwerde haben auch zur Folge, dass sich bei Behörde und Gericht ein «Gefühl» breit machen muss, das dem Antragsteller nicht unbedingt helfen wird.

Redaktion beck-aktuell, 27. September 2017.