Hausordnung regelt Erstunterbringung von Asylantragstellern
In der vom Regierungspräsidium Freiburg seit Mai 2018 betriebenen Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) werden Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben, in der ersten Phase ihres Aufenthalts in Deutschland untergebracht. In der dortigen Hausordnung, die auf einer Musterhausordnung für das Land Baden-Württemberg basiert, werden die Modalitäten des Zusammenlebens in der Einrichtung festgelegt. Die Antragsteller haben sich mit ihrem im Dezember 2020 eingereichten Normenkontrollantrag unter anderem gegen Regelungen der Hausordnung über die Durchführung von Zutritts- und Zimmerkontrollen gewandt. Einen im März 2021 in dieser Sache gestellten Eilantrag hatte der VGH Mannheim mit Beschluss vom 28.06.2021 aufgrund der im Eilverfahren vorzunehmenden Interessenabwägung abgelehnt (BeckRS 2021, 17064). Von den ursprünglich sechs Antragstellern lebte zuletzt keiner mehr in der LEA. Vier Antragsteller hatten nach ihrem Auszug den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Zwei Antragsteller, die aus Ghana stammen, haben ihre Anträge trotz ihres Auszugs im Herbst letzten Jahres aufrechterhalten. Zum 15.12.2021 hob der Einrichtungsleiter die angegriffenen Regelungen auf und erließ eine neue Hausordnung.
Normenkontrollantrag teilweise zulässig
Der VGH Mannheim gab dem Normenkontrollantrag der verbliebenen zwei Antragsteller teilweise statt. Der Normenkontrollantrag seien zwar teilweise unzulässig, weil durch den Auszug aus der LEA für die Antragsteller ihre gegenwärtige Beschwer entfallen sei. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes sei die Rechtsklärung aber weiterhin möglich, soweit es um schwerwiegende Grundrechtseingriffe gehe. Dies sei zu bejahen für die Regelungen zur Kontrolle der Zimmer. Die Vorschriften, die den privaten Sicherheitsdienst zur Kontrolle der Antragsteller beim Zutritt zur LEA und auf dem Gelände berechtigt hätten, führten hingegen nicht zu einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff. Insoweit sei der Normenkontrollantrag daher unzulässig und abzulehnen.
Regelungen zum Betreten der Bewohnerzimmer unzulässig
Der Antrag gegen die Regelungen der Hausordnung zum Betreten der Bewohnerzimmer sei begründet, so der VGH weiter. Für die Regelungen fehle eine gesetzliche Grundlage. Die Zimmer der Bewohner, in der sich zugleich ihre Schlafstätte befinde, seien eine Wohnung im Sinn des Art. 13 Abs. 1 GG. Zwar spreche die Unterbringungsstruktur in der LEA für die Notwendigkeit von Einschränkungen im Grundrechtsschutz aus Art. 13 GG beim Betreten der Bewohnerzimmer. Vergleichbares habe das Bundesverfassungsgericht bei Geschäftsräumen angenommen. Allerdings bedürfe es auch in diesen Fällen einer besonderen gesetzlichen Vorschrift. Die Generalklausel des § 6 Abs. 3 Satz 2 FlüAG oder Regelungen in einer von dem Einrichtungsleiter erlassenen Hausordnung genügten hierfür nicht. Das Urteil vom 02.02.2022 ist nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der VGH die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen.
GFF: Land muss Einschränkungen gegebenenfalls gesetzlich festlegen
Das Verfahren war von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), PRO ASYL, der Aktion Bleiberecht und dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg unterstützt worden. "Die Entscheidung macht eine klare Ansage an das Land Baden-Württemberg. Weitreichende Grundrechtseingriffe per Hausordnung regeln – das geht nicht. Das Land muss Einschränkungen gesetzlich festlegen, nur dann sind Grundrechte und Demokratieprinzip gewahrt", sagte Sarah Lincoln, Juristin bei der GFF. Auch die Kläger Emmanuel Annor und Ba Gando erhoffen sich laut GFF nach dem Urteil eine Verbesserung der Situation in den Unterkünften: "Nach der Flucht brauchen wir einen Ort, an dem wir zur Ruhe kommen können. Bislang hatten wir in der Unterkunft kaum Privatsphäre. Das heutige Urteil macht Hoffnung auf Veränderung und ist für uns ein wichtiges Signal. Es bestärkt uns, weiter für uns und unsere Rechte einzustehen".