Quarantänepflicht für "Kontaktpersonen der Kontaktpersonen" außer Vollzug gesetzt

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim hat einem Eilantrag gegen die Quarantänepflicht für die "Kontaktperson der Kontaktperson" eines mit einer Virusvariante Infizierten stattgegeben. Für die angefochtene Regelung bestehe voraussichtlich keine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Wie das Gericht betont, dürfte für diese Gruppe kein hinreichender Ansteckungsverdacht anzunehmen sein.

Quarantänepflicht für haushaltsangehörige Personen

Die von der Landesregierung erlassene CoronaVO Absonderung regelt die Quarantänepflicht von mit dem Virus SARS-CoV-2 infizierten oder krankheitsverdächtigen Personen und deren haushaltsangehörigen Personen. § 4a Sätze 1 und 2 der CoronaVO Absonderung bestimmen: "Besteht bei einer Kontaktperson der Kategorie I oder Kontaktperson der Kategorie Cluster-Schüler eine Pflicht zur Absonderung und wurde bei der positiv getesteten Person eine besorgniserregende Virusvariante identifiziert, müssen sich die Kontaktpersonen der Kontaktperson unverzüglich nach der Mitteilung durch die zuständige Behörde in Absonderung begeben. Die Absonderung der Kontaktpersonen der Kontaktperson endet mit dem Ende der Absonderungszeit der Kontaktperson der Kategorie I oder Kontaktperson der Kategorie Cluster-Schüler nach Mitteilung durch die zuständige Behörde". Kontaktpersonen der Kategorie Cluster-Schüler sind ausweislich der Verordnung Schüler, die von der zuständigen Behörde als solche eingestuft wurden, da sie ausschließlich im Schulkontext mit einer positiv getesteten Schülerin oder einem positiv getesteten Schüler aus der eigenen Schulklasse oder Kursstufe Kontakt hatten.

Eilantrag einer Staatsanwältin und eines Rechtsanwalts

Gegen § 4a Sätze 1 und 2 der CoronaVO Absonderung haben sich mit einem Eilantrag eine Staatsanwältin und ein Rechtsanwalt gewandt. Sie sind verheiratet und Eltern dreier schulpflichtiger Kinder. Das jüngste Kind besucht eine Grundschule, in der derzeit Präsenzunterricht im Wechselmodell stattfindet. Die beiden anderen Kinder besuchen weiterführende Schulen, an denen gegenwärtig noch kein Präsenzunterricht angeboten wird.

Eltern kritisieren "Cluster"-Vorschrift

Die angefochtenen Vorschriften sind nach Auffassung der Antragsteller unverhältnismäßig. Die Cluster von Schülern bestünden zurzeit regelmäßig aus mindestens zehn Personen. Bei angenommenen drei Haushaltsangehörigen pro Kind resultiere aus der angefochtenen Regelung eine zwingende 14-tägige Quarantäne für mindestens 40 Personen zu jedem einzelnen Infektionsfall mit einer Virusvariante. Der Kreis der von diesem Mechanismus betroffenen Personen könne, wie sich in der Praxis bereits gezeigt habe, unter Umständen auch deutlich größer sein. Bei der in der Grundschule anstehenden Rückkehr zum Präsenzunterricht ohne Wechselmodell werde ein Infektionsfall bei der üblichen Klassengröße von circa 25 Kindern für etwa 100 Personen eine Quarantäne auslösen.

Landesregierung: Gefahr durch Grundschüler 

Die Landesregierung ist dem Antrag entgegengetreten. Die in Baden-Württemberg flächendeckend festgestellten Virusvarianten wiesen eine erheblich höhere Infektiosität auf als der sogenannte Wildtyp des SARS-CoV-2-Virus. Die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von einer infizierten Person auf eine Person der Kategorie I sei damit signifikant erhöht. Dies gelte insbesondere für Kontaktpersonen der Kategorie Cluster-Schüler in der Grundschule, weil gerade bei jüngeren Schülern die konsequente Einhaltung von Hygienevorgaben nicht vollständig umsetzbar sei. Hinzu komme, dass Haushaltsangehörige einer Kontaktperson I untereinander in der Regel sehr engen und dauerhaften Kontakt pflegten.

VGH sieht keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage

Der VGH hat dem Eilantrag der Eltern stattgegeben und § 4a Satz 1 und 2 der Corona-Verordnung Absonderung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung führte er unter anderem aus, für die angefochtene Regelung bestehe voraussichtlich keine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Bei "Kontaktpersonen von Kontaktpersonen" handele es sich voraussichtlich nicht um Personen aus dem Kreis derjenigen Personen, die nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG allein Adressaten einer Absonderungspflicht sein können. Insbesondere seien diese keine Ansteckungsverdächtige im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 2, § 2 Nr. 7 IfSG. "Ansteckungsverdächtiger" sei eine Person, von der anzunehmen sei, dass sie Krankheitserreger aufgenommen habe, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Ausreichend sei dabei, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher sei als das Gegenteil.

Kein hinreichender Ansteckungsverdacht bei "Kontaktpersonen der Kontaktpersonen"

Für "haushaltsangehörige Personen", "Kontaktpersonen der Kategorie I" sowie "Kontaktpersonen der Kategorie Cluster-Schüler" dürfte ein hinreichender Ansteckungsverdacht anzunehmen sein. Für "Kontaktpersonen der Kontaktpersonen" gelte dies hingegen voraussichtlich nicht. Nach der Bewertung des Robert-Koch-Instituts könnten Haushaltsangehörige von Kontaktpersonen der Kategorie I nicht ohne weiteres – allein wegen ihrer Haushaltszugehörigkeit – als ansteckungsverdächtig eingeordnet werden. Konkret nachvollziehbare und belastbare tatsächliche Grundlagen, die eine vom Robert-Koch-Institut abweichende epidemiologische Einschätzung rechtfertigen würden, habe die Landesregierung nicht benannt.

VGH Mannheim, Beschluss vom 16.03.2021 - 1 S 751/21

Redaktion beck-aktuell, 17. März 2021.