Libanese begehrte Einbürgerung
Der knapp vierzigjährige Kläger reiste 2002 mit einem Visum zum Zwecke eines Deutschkurses und anschließenden Studiums in das Bundesgebiet ein. Er schloss sein Medizinstudium in Deutschland erfolgreich ab, ist mittlerweile Facharzt und an einer Klinik als Oberarzt tätig. Vor etwa zehn Jahren heiratete er standesamtlich eine in Deutschland geborene deutsche Staatsangehörige muslimischen Glaubens, deren Eltern aus Syrien stammen. Der Kläger hält sich seit seiner Einreise bis heute ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Im Jahr 2012 beantragte der Kläger seine Einbürgerung, unterschrieb dabei die Bekenntnis- und Loyalitätserklärung sowie das Merkblatt zur Verfassungstreue und zur Absage an alle Formen des Extremismus. Zudem bestand er den Einbürgerungstest mit der maximal möglichen Punktzahl.
Händeschütteln mit Landratsamtsmitarbeiterin verweigert
Bei der geplanten Aushändigung der Einbürgerungsurkunde weigerte der Kläger sich 2015, der zuständigen Sachbearbeiterin des Landratsamts zur Begrüßung die Hand zu geben. Denn er habe seiner Ehefrau versprochen, keiner anderen Frau die Hand zu geben. Zur Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kam es nicht. Gegen die daraufhin vom Landratsamt 2016 abgelehnte Einbürgerung klagte der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart. Das VG wies die Klage ab. Dagegen legte der Kläger Berufung ein.
VGH verneint Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Für eine Einbürgerung müsse der Bewerber gemäß § 10 Staatsangehörigkeitsgesetz seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleisten. Dies setze auch eine tätige Einordnung in die elementaren Grundsätze des gesellschaftlich-kulturellen Gemeinschaftslebens voraus. In Deutschland - wie auch in anderen westlichen Staaten - seien Handschlag und Händeschütteln gängige nonverbale Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale, die unabhängig von sozialem Status, Geschlecht oder anderen personellen Merkmalen der beteiligten Personen erfolgten und auf eine jahrhundertelange Praxis zurückgingen. Aufgrund der langen geschichtlichen Tradition des Handschlags erachtet der Senat es für ausgeschlossen, dass die derzeitige Corona-Pandemie, die mit einer Vermeidung des Handschlags einhergehe, auf Dauer zu einem Ende des Händeschüttelns führe. Auch in der Vergangenheit habe der Handschlag die Zeiten überdauert, die von weltweiten Infektionen geprägt gewesen seien.
Handschlag tiefgehend im gesellschaftlich-kulturellen und rechtlichen Leben verwurzelt
Allerdings seien als Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft in Deutschland daneben andere Praktiken zur Begrüßung oder Verabschiedung anzutreffen, etwa Küsse oder eine Art Abklatschen ("High Five"). Bei besonderen privaten, öffentlichen oder gar hoheitlichen Anlässen, die durch Förmlichkeiten geprägt würden, sei es aber gerade der Handschlag, der in diesem Kontext regelmäßig praktiziert werde. Der Handschlag habe ferner eine rechtliche Bedeutung. Er symbolisiere einen Vertragsabschluss. Zudem gebe es gesetzliche Regelungen, die vorsähen, dass Personen durch Handschlag auf eine ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet würden, beispielsweise bei der Übertragung eines öffentlichen Amts oder der Bestellung eines Vormunds durch das Familiengericht. Der Handschlag habe daher im gesellschaftlich-kulturellen und rechtlichen Leben eine das Miteinander prägende, tiefgehende Verwurzelung. Für diese sei typisch, dass der Handschlag unabhängig davon erfolge, welche Geschlechter sich gegenüberstünden.
Keine Einbürgerung bei Ablehnung des Händeschüttelns mit Frauen aus salafistischer Überzeugung
Verweigere der Einbürgerungsbewerber das Händeschütteln aus geschlechtsspezifischen - und damit aus mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht in Einklang zu bringenden - Gründen, sei keine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gegeben. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Verweigerung des zwischengeschlechtlichen Handschlags - wie hier - dazu diene, dem Geltungsanspruch einer salafistischen Überzeugung zum Verhältnis von Mann und Frau zu einer gesellschaftlichen Wirkung zu verhelfen. Verweigere ein Einbürgerungsbewerber wegen fundamentalistischer Kultur- und Wertevorstellungen das Händeschütteln mit jeglicher Frau, weil sie ein anderes Geschlecht habe und damit per se als eine dem Mann drohende Gefahr sexueller Versuchung und unmoralischen Handelns gelte, könne er nicht eingebürgert werden.
Ablehnung des Händeschüttelns mit Männern nur taktisch begründet
Soweit der Kläger vortrage, er habe sich, weil er den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau voll mittrage, mittlerweile dazu entschlossen, niemandem mehr die Hand zu reichen, führe dies zu keiner anderen Würdigung. Die jedenfalls seit Anfang des Jahres 2018 bestehende Praxis des Klägers, niemandem mehr die Hand zu geben, sei als ein unter dem Eindruck der Ablehnung der Einbürgerung entwickeltes taktisches Vorgehen zu werten.