Kein sofortiger Stopp für Atomkraftwerk Neckarwestheim II

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat einen Antrag auf einstweilige Betriebseinstellung des Atomkraftwerks Neckarwestheim II abgelehnt. Die Antragsteller hatten die Gefahr eines Atomunfalls wegen Wanddickenschwächungen, unter anderem Rissen an Rohren, geltend gemacht. Der VGH sah die Voraussetzungen für eine einstweilige Verfügung nicht gegeben und verwies insbesondere auf den Funktionsvorbehalt der Exekutive im Atomrecht.

Risse an Rohren – Antragsteller sehen Gefahr für Atomunfall 

Das Gemeinschaftskraftwerk Neckarwestheim II (GKN II), das noch eine gesetzlich verankerte Restlaufzeit bis Ende 2022 hat, verfügt über vier Dampferzeuger mit jeweils 4.118 Heizrohren. Den Dampferzeugerheizrohren kommt eine Barrierefunktion zwischen dem Primärkreislauf und dem radioaktivitätsfreien Sekundärkreislauf zu, der zudem einer ständigen radioaktiven Aktivitätskontrolle unterliegt. Im Jahr 2017 wurden an den Rohren erstmals Wanddickenschwächungen in Form von flächigen Abtragungen und Rissen entdeckt. Nach umfänglich technisch-fachlichen Untersuchungen und Beratungen unter anderem in der Reaktorsicherheitskommission (RSK) wurden Abhilfemaßnahmen ergriffen. Die Antragsteller halten die Abhilfemaßnahmen für unzureichend. Nach einem erfolglosen Stilllegungsantrag beim Umweltministerium erhoben sie im Dezember 2020 Klage (Az.: 10 S 4004/20). Mit ihrem Eilantrag machten sie unter Berufung auf eigene Gutachten geltend, die durchgeführten Untersuchungen und Maßnahmen schlössen die Gefahr eines schweren Atomunfalls durch Rohrabrisse nicht aus.

VGH: Keine drohenden existenziellen Gefahren für Leib und Leben

Der VGH hat den Eilantrag abgelehnt. Ein Erfolg im Hauptsacheverfahren sei nicht überwiegend wahrscheinlich und es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass den Antragstellern existenzielle Gefahren für Leib und Leben drohten. Dabei komme im Atomrecht, in dem es häufig - wie auch hier - wesentlich auf fachlich-technische Bewertungen ankomme, dem sogenannten Funktionsvorbehalt der Exekutive wesentliche Bedeutung zu. Dieser besage, dass die Exekutive für die Beurteilung von Art und Ausmaß bestehender Risiken und die Entscheidung, ob solche hinzunehmen sind oder nicht hingenommen werden können, allein verantwortlich sei. Hiervon ausgehend könne der Senat in Bezug auf die von den Antragstellern erhobenen Einwendungen gegen die fachlich-technische Bewertung der Aufsichtsbehörde keine eigene Beurteilung vornehmen oder gar die angesprochenen naturwissenschaftlichen Fragen eigenständig abweichend bewerten. Diese beruhe auf einer breiten und auch gutachterlich aufgearbeiteten Tatsachengrundlage und sei zudem mit erheblichen Teilen der Fachwelt abgestimmt.

Mit Blick auf aktuelle Revisionsprüfung kein relevantes Risiko

Hinzu komme, dass im Rahmen der jährlichen Revisionen eine fortlaufende Validierung stattfinde und die Tragfähigkeit der Risikoeinschätzung hierbei - so zuletzt im Sommer 2021 - bestätigt werde. Gerade vor dem Hintergrund der Ergebnisse der aktuellen Revisionsprüfung sei ein relevantes Risiko unzureichender Störfallbeherrschung nicht zu unterstellen, sodass den Antragstellern nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit schwere und irreversible Nachteile drohten, die den Erlass der begehrten Regelungsanordnung zur vorläufigen Stilllegung des GKN II rechtfertigen könnten.

VGH Mannheim - 10 S 1870/21

Redaktion beck-aktuell, 2. Mai 2022.