VGH Mannheim: Kein Beihilfeanspruch für Chromosomenuntersuchung auf balancierte Translokation

Eine Beamtin, die eine Chromosomenuntersuchung durchführen lässt, um festzustellen, ob bei ihr eine genetische Veränderung in der Form einer balancierten Translokation vorliegt, hat keinen beihilferechtlichen Anspruch auf Kostenersatz gegen ihren Dienstherrn. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit Urteil vom 29.06.2017 entschieden (Az.: 2 S 2014/16, BeckRS 2017, 118075).

Balancierte Translokation erhöht Risiko einer unbalancierten Translokation bei Nachkommen

Bei einer Translokation werden Chromosomenabschnitte an eine andere Position innerhalb des Chromosomenbestandes verlagert. Im Fall einer unbalancierten Translokation entstehen Zellen mit fehlenden oder doppelt vorhandenen Chromosomenabschnitten. Sie führen häufig zu Anomalien und Fehlbildungen. Bei einer balancierten Translokation ist ein Chromosom oder ein Chromosomenabschnitt auf ein anderes Chromosom transloziert, wobei sich die Gesamtmenge des Erbguts nicht ändert, sondern im Gleichgewicht bleibt. Sie bleibt für den Träger in der Regel ohne Auswirkung, da das Genom vollständig erhalten bleibt. Menschen mit einer balancierten Translokation haben jedoch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Kinder mit einer unbalancierten Translokation zu bekommen.

Klägerin ließ wegen familiärer Vorbelastungen Chromosomenuntersuchung durchführen

Die 1985 geborene Klägerin ließ 2014 auf Anraten des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Heidelberg bei sich eine Chromosomenuntersuchung durchführen, nachdem bei ihrem Vater eine genetische Veränderung in Form einer balancierten Translokation der Chromosomen 2 und 20 festgestellt worden war und ein weiterer (entfernter) Verwandter väterlicherseits eine geistige Behinderung sowie Epilepsie aufgrund einer unbalancierten Translokation dieser Chromosomen aufwies. Zudem sind in der väterlichen Familie mehrere Kinder früh verstorben, bei denen vermutet wird, dass sie ebenfalls Träger einer unbalancierten Translokation der genannten Chromosomen gewesen sein könnten. Auch traten in der Familie zahlreiche Fehlgeburten auf. Die Chromosomenuntersuchung ergab, dass die Klägerin ebenfalls Trägerin der balancierten Translokation ist.

Klägerin begehrte Beihilfe für Chromosomenuntersuchung

Die Klägerin ist als Landesbeamtin zu 50% beihilfeberechtigt. Sie beantragte daher beim Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg die Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen für die Chromosomenuntersuchung in Höhe von 833,61 Euro. Das Landesamt lehnte die Erstattung ab, da die Aufwendungen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Heilung oder Linderung einer Erkrankung oder eines bestehenden Leidens stünden.

VG bejahte Beihilfefähigkeit

Der hiergegen erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht Karlsruhe statt und verpflichtete das Land Baden-Württemberg (Beklagter), der Klägerin für den Gentest eine Beihilfe in Höhe von 416,81 Euro zu gewähren. Die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen ergebe sich aus § 10 Abs. 3 Nr. 3 der baden-württembergischen Beihilfeverordnung (BVO), wonach Aufwendungen für ambulante ärztliche Leistungen beihilfefähig seien, wenn diese notwendig seien, um Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden (Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge). Die Kenntnis um das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Gendefekts diene der Verhinderung von weiteren Erkrankungen der Klägerin gerade im Fall einer Schwangerschaft. Dagegen legte das Land Berufung ein.

VGH widerspricht: Keine beihilfefähigen Krankheitsaufwendungen

Die Berufung hatte Erfolg. Der VGH hat das VG-Urteil geändert und die Klage auf Kostenerstattung abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ersatz der für den Gentest entstandenen Aufwendungen. Die Aufwendungen seien nicht nach § 6 Abs. 1 BVO beihilfefähig, da sie nicht aus Anlass einer Krankheit angefallen seien. Krankheit sei ein regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes, der der ärztlichen Behandlung bedürfe. Hier fehle es jedenfalls an der Behandlungsbedürftigkeit, da die durchgeführte Chromosomenuntersuchung die Veränderung des Chromosomensatzes unberührt lasse. Die von der Klägerin geltend gemachten psychischen Beschwerden infolge der Ungewissheit, ob sie unter dem Gendefekt leide, stellten Belastungen dar, die, selbst wenn sie das Ausmaß einer psychischen Krankheit angenommen hätten, nicht durch die Chromosomenuntersuchung therapiert würden, sondern psychotherapeutische Maßnahmen angezeigt erscheinen ließen.

Keine beihilfefähige Früherkennungsmaßnahme

Weiter führt der VGH aus, dass die Chromosomenuntersuchung zwar eine Früherkennungsmaßnahme sei, aber nicht zu den in § 10 Abs. 1 BVO aufgeführten beihilfefähigen Früherkennungsmaßnahmen gehöre. Früherkennungsmaßnahmen seien bei Erwachsenen nur zur Früherkennung von Krebserkrankungen sowie in bestimmten Fällen bei Personen vom Beginn des 36. Lebensjahres an erstattungsfähig.

Keine beihilfefähige Gesundheitsvorsorgemaßnahme

Der VGH verneint schließlich auch eine Beihilfefähigkeit des Gentests als Maßnahme der Gesundheitsvorsorge (medizinische Vorsorgeleistung) nach § 10 Abs. 3 BVO. Eine Beihilfefähigkeit setze insoweit voraus, dass die Aufwendungen notwendig seien, um eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen, oder Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden (§ 10 Abs. 3 Nr. 1, 3 BVO). Daran fehle es hier, da die balancierte Translokation keine Krankheit im beihilferechtlichen Sinn sei.

Gentest dient lediglich der Diagnose

Etwas anderes gilt laut VGH auch nicht für die von der Klägerin beklagten psychischen Beschwerden und etwaige künftige Schwangerschaftskomplikationen. Denn medizinische Vorsorgeleistungen seien auf die Änderung des festgestellten Körper-, Geistes- oder Seelenzustandes des Betroffenen gerichtet. Der Gentest diene jedoch nur der Diagnose und könnte daher nur als Früherkennungsmaßnahme beihilfefähig sein. Deren Erstattungsfähigkeit habe der Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 BVO jedoch abschließend geregelt.

VGH Mannheim, Urteil vom 29.06.2017 - 2 S 2014/16

Redaktion beck-aktuell, 29. August 2017.

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