Erfolgloser Eilantrag gegen coronabedingte Schließung des Textileinzelhandels

Ein Einzelhandelsunternehmen aus dem Textilbereich ist mit seinem Eilantrag gegen die Untersagung seines Betriebs durch die Corona-Verordnung der baden-württembergischen Landesregierung gescheitert. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim verweist unter anderem darauf, dass Baden-Württemberg mit den Schließungen eine bundesweit abgestimmte Strategie umsetze. Regionale Öffnungen schieden wegen dann zu erwartender, dem Infektionsschutz zuwiderlaufender Kundenströme aus.

Modehauskette hat keinen Zugang zu Förderprogrammen des Bundes

Die Antragstellerin hat mit ihrem Antrag vorgetragen, sie beschäftige über 5.000 Mitarbeiter und habe 2019 als großes mittelständisches Familienunternehmen einen Umsatz von deutlich über 750 Millionen Euro bei einem positiven Jahresergebnis im zweistelligen Millionenbereich erzielt. Sie müsse ihre Warenhäuser seit dem 16.12.2020 geschlossen halten, ihre dort teilweise vorhandenen Gastronomie- und Friseurbetriebe seien bereits seit November 2020 geschlossen. Sie habe keinen Zugang zu den Förderprogrammen des Bundes. Für die Überbrückungshilfe III seien nur Unternehmen mit einem Jahresumsatz von maximal 750 Millionen Euro antragsberechtigt. Ihr Umsatz für 2020 liege voraussichtlich darüber.

Rechtswidriger Eingriff in Eigentumsgrundrecht geltend gemacht

Die Antragstellerin macht geltend, die Corona-Verordnung führe zu einem rechtswidrigen Eingriff in ihr Eigentumsrecht, der entschädigungspflichtig sei. Die Betriebsschließung sei unverhältnismäßig. Weniger belastende Maßnahmen wie stärkere Zugangsbeschränkungen zu Alten- und Pflegeheimen, intensive Test- und Quarantäneanordnungen oder eine Dienstverpflichtung von medizinischem Personal stellten für die Gesellschaft als Ganzes offenkundig weniger belastende Maßnahmen als ein Lockdown dar. Es erschließe sich nicht, warum von einer unzureichenden Personalausstattung in den Krankenhäusern berichtet werde, wenn zugleich eine Vielzahl von Ärzten Tätigkeiten ausschließlich in Verwaltungsbereichen der Krankenhäuser und Krankenversicherungen oder als freigestellte Personalräte nachgingen. Auch in der Corona-Pandemie gelte es nicht, jedes Leben um jeden Preis zu schützen und alles andere dahinter zurückstehen zu lassen. Dementsprechend komme auch niemand auf die Idee, trotz der Verkehrstoten den motorisierten Straßenverkehr zu verbieten oder trotz des Todes von Kindern auf dem Schulweg allgemein auf ein "Homeschooling" umzustellen. Auch verstoße es gegen den Gleichheitsgrundsatz, dass ein Supermarkt seine Bekleidungsabteilung weiterhin betreiben dürfe, die Antragstellerin ihre Verkaufshäuser hingegen geschlossen halten müsse. 

VGH: Schließung setzt bundesweit abgestimmtes Konzept um

Der VGH Mannheim lehnt den Eilantrag der Antragstellerin ab. Die Voraussetzungen des Infektionsschutzgesetzes für Betriebsschließungen seien gegenwärtig voraussichtlich erfüllt. Die Sieben-Tages-Inzidenz liege bundesweit über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. In einer solchen Konstellation seien "bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben" (§ 28a Abs. 3 Satz 9 IfSG). Die Entscheidung des Antragsgegners in der Corona-Verordnung, den Betrieb von Einzelhandelsgeschäften grundsätzlich zu untersagen, sei auch Teil einer solchen "bundesweiten Abstimmung“. Es bestehe gegenwärtig kein Anlass, bei der Schließung von Einzelhandelsgeschäften regional differenzierende Regelungen zu schaffen. Denn eine punktuelle Öffnung des Einzelhandels in einigen Kreisen führe zu umfangreichen Kundenströmen zwischen einzelnen Kreisen und aus anderen Bundesländern und damit voraussichtlich zu einem erheblichen Anstieg der Sozialkontakte und der Infektionsgefahren.

Kurzfristige Unterschreitung des Inzidenzschwellenwerts ändert nichts

Aus dem Umstand, dass die Sieben-Tages-Inzidenz von 50 im landesweiten Durchschnitt inzwischen unterschritten werde, folge nichts anderes. Dieser Umstand zwinge den Antragsgegner insbesondere nicht dazu, sich einer bundeseinheitlich abgestimmten Strategie zur Pandemiebekämpfung zu verweigern. Denn die Unterschreitung des auf den Landesdurchschnitt bezogenen Inzidenzschwellenwerts ändere nichts daran, dass der Anwendungsbereich von Satz 9 des § 28a Abs. 3 IfSG weiterhin eröffnet sei. Hinzu komme, dass der Schwellenwert im Land erst seit wenigen Tagen und bislang auch nur geringfügig unterschritten werde. Die Einschränkungen seien weiterhin verhältnismäßig, so der VGH Mannheim weiter. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland sei insgesamt noch als sehr hoch einzuschätzen. Dies rechtfertige es gegenwärtig, weiterhin Betriebsuntersagungen aufrechtzuerhalten. 

Abmilderung wirtschaftlicher Einbußen durch Staat zu berücksichtigen

Die dem entgegenstehenden – grundrechtlich geschützten – Belange der Antragstellerin hätten ein sehr beachtliches Gewicht, müssten jedoch hinter den Belangen des Gesundheitsschutzes zurücktreten. Zum Überwiegen dieser Belange trage derzeit in vielen Fällen auch bei, dass zur Abmilderung der zu erwartenden wirtschaftlichen Einbußen weitgehende staatliche Kompensationsmaßnahmen vorgesehen seien. Dass die Antragstellerin hiervon in keiner Weise profitiere, sei angesichts der undifferenzierten Angaben im vorliegenden Eilverfahren nicht plausibel. Gegen einen gänzlichen Ausschluss der Antragstellerin spreche zudem die sinngemäße Verlautbarung des Bundeswirtschaftsministers vom 16.02.2021, die Begrenzung der Überbrückungshilfe III auf Unternehmen mit einem Umsatz bis zu 750 Millionen Euro wegfallen zu lassen und einen "Härtefall-Fonds" einrichten zu wollen.

Geschäft unter anderem im Wege des Online-Handels weiterführbar

Zudem sei der Antragstellerin der Betrieb ihrer Einzelhandelsgeschäfte keineswegs vollständig untersagt. Sie könne ihre Waren vielmehr über Abholangebote und Lieferdienste einschließlich solcher des – auch von ihr in erheblichem Umfang betriebenen – Online-Handels anbieten. Dass sie die Möglichkeiten nicht nutzen wolle, weil sie sie etwa aufgrund der räumlichen Gestaltung ihrer Ladengeschäfte für nicht hinreichend praktikabel oder auskömmlich halte, ändere nichts daran, dass die Ausnameregelungen zur Verhältnismäßigkeit der "nur" auf den Präsenzbetrieb der Geschäfte gerichteten Schließungsanordnung beitrügen. Die Einschränkungen seien zudem zeitlich befristet. Auch die bundesweit abgestimmte Pandemiebekämpfungsstrategie sehe konkrete Maßgaben für eine zeitnahe Wiederöffnung auch des Einzelhandels vor.

Selbst bei Ausbleiben staatlicher Kompensationsleistungen von Verhältnismäßigkeit auszugehen

Daher seien die Einschränkungen für die Antragstellerin voraussichtlich selbst dann zumutbar und verhältnismäßig, wenn sie keine staatlichen Kompensationsleistungen erhalten sollte. Daher würden sich die von ihr aufgeworfenen Fragen, ob die angefochtene Verordnungsbestimmung eine ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstelle und ob der Bundesgesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, im Infektionsschutzgesetz eine dahingehende Regelung zu schaffen, im Hauptsacheverfahren nach derzeitigen Erkenntnisstand voraussichtlich nicht stellen.

Kein Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsatz

An einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz fehle es, betont der VGH. Die Grundentscheidung des Antragsgegners, den Einzelhandel für Lebensmittel und Getränke von der grundsätzlichen Schließungsanordnung auszunehmen, sei nicht zu beanstanden. Denn dieser diene der Grundversorgung der Bevölkerung. Dem Lebensmitteleinzelhandel auch den Weitervertrieb von Sortimentsteilen jenseits von Lebensmitteln und Getränken einschließlich von Textilien in untergeordnetem Umfang zu gestatten, sei durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Diese Unterscheidung beruhe auf Gründen des Infektionsschutzes. Der Antragsgegner habe davon ausgehen dürfen, dass der Verkauf solcher Produkte durch den Lebensmitteleinzelhandel zu keinem zusätzlichen Anstieg der durch die Öffnung des Einzelhandels ohnehin geschaffenen Infektionsquellen führen, eine Öffnung des Textileinzelhandels hingegen zusätzliche Infektionsquellen schaffen würde.

VGH Mannheim, Beschluss vom 18.02.2021 - 1 S 398/21

Redaktion beck-aktuell, 18. Februar 2021.