"Flipped Classroom" im Corona-Semester: Mathematik-Professor verletzt Lehrauftrag

Ein Mathematikprofessor versuchte während der Corona-Pandemie, seine Lehre ohne Vorlesungen über eine Lernplattform und Frage-Antwort-E-Mails abzuwickeln. Zu wenig, fand nun das VGH Mannheim, und attestierte ihm eine Verletzung der Lehrpflicht.

Nach dem baden-württembergischen Hochschulgesetz können Online-Lehrangebote wie Präsenzveranstaltungen auf die verpflichtenden Lehrstunden des Personals angerechnet werden. Das gilt allerdings nur dann, wenn diese von Inhalt und Umfang auch vergleichbar sind. Das VGH Mannheim hat dies nun im Falle eines Professors verneint, der seine Semesterwochenstunden über ein (unvollständiges) "begleitetes Selbststudium" ausfüllen wollte (Urteil vom 07.07.2025 – VGH DL 16 S 1957/23).

Während der Corona-Pandemie sollte ein Professor an einer baden-württembergischen Hochschule Mathematik, Operations Research und Statistik unterrichten. Die Leitung der Hochschule hatte dafür in mehreren Mails die Möglichkeiten digitaler Lehre nahegelegt. Inspiriert vom sogenannten Flipped Classroom-Modell, entschied sich der Professor daraufhin, seine Sollveranstaltungen nicht in klassischen Vorlesungen abzuhalten, sondern stattdessen detaillierte Lernpläne, Arbeitsblätter und Literaturhinweise auf der Gemeinschaftslernplattform "Moodle" bereitzustellen. Dabei bot er auch an, dass sich Studierende jederzeit per E-Mail an ihn wenden könnten, wobei Fragen und Antworten ihrerseits auf Moodle eingestellt werden sollten.

Verdacht auf Lehrpflichtverstoß

Nach einem "in jeglicher Hinsicht unlösbaren" Take-Home-Exam beschwerte sich die Studierendenschaft nach dem Sommersemester 2020 beim Rektor der Hochschule, der daraufhin erfolglos das Gespräch mit dem Lehrer suchte. Es folgte ein Disziplinarverfahren wegen des dringenden Verdachts einer Lehrpflichtverletzung. Das Verfahren mündete in einem Bußgeld in Höhe von 4.700 Euro, wogegen der Professor schließlich Klage erhob. Die pandemiebedingten Besonderheiten hätten es ihm erlaubt, sich für die Lernmethode des "Flipped Classroom" zu entscheiden. Dass es zudem auch eine unmittelbare Interaktion mit den Studierenden gebraucht habe, sei nicht ersichtlich gewesen.

Das VG Sigmaringen wies die Klage ab, so dass nun der VGH Mannheim über die Berufung des Professors zu entscheiden hatte. Es befand, dass der Hochschullehrer die "Flipped Classroom"-Methode schon nicht vollständig umgesetzt und damit jedenfalls gegen seine dienstliche Lehrpflicht verstoßen hatte. Ob die Lernmethode für sich genommen gleichwertig mit einer Präsenz- oder Online-Vorlesung wäre, ließ das Gericht offen.

Wann ist genug gelehrt?

Das Gericht hatte die Frage zu beantworten, was genau sich als "Lehre" – und damit als Dienstaufgabe für Hochschullehrpersonen - im Sinne des Landeshochschulgesetzes qualifiziert. Es gebe keine gesetzliche Definition für diesen Begriff, sodass er durch Auslegung ermittelt werden musste. So stütze sich die verfassungsrechtliche Freiheit der Lehre auf die "wissenschaftlich fundierte Übermittlung der durch die Forschung gewonnenen Erkenntnisse". Eine Übermittlung in diesem Sinne erschöpfe sich nicht darin, lediglich Wissen zur Verfügung zu stellen. Es brauche vielmehr ein zusätzliches kommunikatives Element. Studierende seien gerade keine Schüler und bloße "Objekte der Wissenschaftsvermittlung", sondern Teile eines wissenschaftlichen Dialogs. Das wohl wichtigste Mittel der studentischen Beteiligung sei dabei die Gelegenheit, Fragen zum Thema zu stellen und sich zu den vertretenen Lehrmeinungen zu äußern.

Ein bloß gelegentlicher Austausch von Fragen und Antworten könne diesen nötigen Austausch nicht ersetzen, so das Gericht. Für einen "Flipped Classroom" sei es eigentlich gerade charakteristisch, dass sich Studierende den Stoff anhand zur Verfügung gestellter Lerninhalte selbst aneignen und dann auf einer zweiten Stufe im Plenum besprechen und einüben. Hier habe der Professor allerdings keine eigenen Lerninhalte eingestellt, sondern nur auf (eigens recherchierte) Stellen in der Grund- und Vertiefungsliteratur hingewiesen. Studierende seien sogar gehalten gewesen, sich unter Umständen Lernvideos von Dritten anzusehen.  An einer Plenarbesprechung habe es – so auch die elf Zeuginnen und Zeugen im Disziplinarverfahren – gänzlich gefehlt. Damit habe der Professor die vermeintlich didaktisch anerkannte Methode des Flipped Classrooms schon nicht vollständig umgesetzt. Da der fehlende Austausch bereits für sich genommen die Lehrpflicht verletze, könne dahinstehen, ob das Modell an sich für eine ausreichende Lehre im Sinne des Gesetzes ausgereicht hätte.

Selbst wenn man ein korrektes, zweistufiges Flipped-Classrom-Modell voraussetze, könne dieses nicht automatisch wie eine Präsenzveranstaltung bzw. Online-Vorlesung angerechnet werden. Als allenfalls "moderne, internetbasierte Ausgestaltung" im Sinne der Lehrverpflichtungsordnung hätte das Angebot mit den vorgenannten klassischen Veranstaltungsformen "vergleichbar" sein müssen. Das sei hier gerade nicht der Fall. Selbst vor dem Hintergrund der vertieften Literaturrecherche sei schon der Vorbereitungsaufwand maßgeblich geringer.

Mittelschweres Dienstvergehen

Das Gericht stufte das Dienstvergehen des Professors als mittelschwer ein und bestätigte die verhängte Geldbuße. Dabei berücksichtigte es die Umstände der gerade anfangenden Corona-Pandemie als mildernd, zumal das Finden bisher ungewohnter Lernkonzepte eine grundsätzliche Herausforderung der Pandemie gewesen sei.

Der Verweis auf die grundrechtliche Freiheit der Lehre konnte ihn indes nicht entlasten. Diese gewähre zwar einen gewissen Kernbereich der Lehre, der vor staatlichen Einflüssen geschützt sei – einschließlich der freien Wahl der methodischen Form. Dieser Kernbereich sei hier allerdings gerade nicht betroffen. Die Lehrverpflichtungsordnung sei gerade so offen gefasst, dass grundsätzlich auch andere als die "klassischen" Lehrmethoden erlaubt seien. Dass diese nicht sämtlich in gleichem Umfang auf die verpflichtenden Semesterwochenstunden angerechnet werden können, habe indes organisatorische Gründe: Hochschulen müssten schließlich sicherstellen, dass die Lehrenden möglichst gleichmäßig belastet würden. Nur so trügen sie auch dem Umstand Rechnung, durch Steuergelder finanziert zu sein.

VGH Mannheim, Urteil vom 07.07.2025 - VGH DL 16 S 1957/23

Redaktion beck-aktuell, tbh, 7. August 2025.

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