Asylantrag: Verfahrensbeistand schon bei Altersfeststellung

Wird bei einem unbegleitet eingereisten Ausländer, der in Deutschland Asyl beantragen will und vertretbar behauptet, minderjährig zu sein, eine Altersfeststellung durchgeführt, so ist ihm bereits für dieses Verfahren ein Beistand zur Seite zu stellen. Laut VGH Mannheim ergibt sich dies unmittelbar aus der EU-Aufnahmerichtlinie.

Die Stadt Freiburg hatte den Eingereisten im zugrunde liegenden Fall aufgrund seiner Angaben vorläufig in Obhut genommen und in einer für Minderjährige geeigneten Einrichtung untergebracht. Das zuständige Jugendamt bezweifelte jedoch, dass er tatsächlich minderjährig ist und führte ein Altersfeststellungsverfahren durch, das zu dem Ergebnis kam, dass der Eingereiste schon volljährig ist. In der Folge beendete die Stadt die vorläufige Inobhutnahme.

Der Betroffene war nicht einverstanden. Vor dem VG begehrte er erfolgreich vorläufigen Rechtsschutz: Die Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme sei rechtsfehlerhaft, weil dem Ausländer kein Verfahrensbeistand bestellt worden sei. Die Stadt Freiburg hielt das für nicht erforderlich, weil das Jugendamt, das über das Alter und die damit verbundene vorläufige Inobhutnahme entscheide, zugleich die Interessen des betroffenen Ausländers wahre.

Kindeswohl gebietet Verfahrensbeistand bereits bei Altersfeststellung

Der VGH Mannheim hält die Einwände der Stadt für nicht durchgreifend (Beschluss vom 09.04.2024 – 12 S 77/24, unanfechtbar). Die Pflicht zur Bestellung eines Verfahrensbeistands ergebe sich aus der EU-Aufnahmerichtlinie und greife immer dann, wenn ein Asylgesuch im Raum stehe und der betroffene unbegleitete Ausländer vertretbar behaupte, er sei minderjährig und das nicht offensichtlich ausgeschlossen sei. Das diene der Wahrung des Kindeswohls.

Die Altersfeststellung sei insbesondere für eine kindgerechte Unterbringung entscheidend. Nur wenn der potenziell Minderjährige bereits bei der Altersfeststellung in der Lage sei, dem Verfahren zu folgen und seine Belange geltend zu machen, sei das Kindeswohl hinreichend gewahrt. Zudem müsse gesichert sein, dass er sich gegen die Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme zur Wehr setzen und gerichtlichen (vorläufigen) Rechtsschutz beantragen könne, wenn gerade die Minderjährigkeit umstritten sei.

Der deutsche Gesetzgeber habe diese unionsrechtliche Verpflichtung zum Schutz des Kindeswohls nicht umgesetzt. Deshalb sei die Richtlinie unmittelbar anwendbar. Eine Vertretung des Minderjährigen durch das Jugendamt, das selbst für die Altersfeststellung zuständig sei, sei nicht geeignet, um sicherzustellen, dass die Interessen des (möglicherweise) Minderjährigen hinreichend gewahrt werden.

VGH Mannheim, Beschluss vom 09.04.2024 - 12 S 77/24

Redaktion beck-aktuell, bw, 15. April 2024.