VGH Kas­sel: Aus­schluss der Bü­din­ger NPD-Frak­ti­on von Frak­ti­ons­zu­wen­dun­gen ist un­wirk­sam

Die am 01.02.2017 in Kraft ge­tre­te­ne Be­stim­mung der Ent­schä­di­gungs­sat­zung der Stadt Bü­din­gen, nach der Frak­tio­nen aus Ver­tre­tern er­kenn­bar ver­fas­sungs­feind­li­cher Par­tei­en/Ver­ei­ni­gun­gen in der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung keine Frak­ti­ons­zu­wen­dun­gen er­hal­ten, ist un­wirk­sam. Dies hat der Hes­si­sche Ver­wal­tungs­ge­richts­hof am 05.04.2017 in Kas­sel ent­schie­den. Aus Sicht der Rich­ter ver­stö­ßt die ent­spre­chen­de Sat­zungs­än­de­rung, die auf den Aus­schluss der Bü­din­ger NPD-Frak­ti­on von Frak­ti­ons­zu­wen­dun­gen ab­ziel­te, gegen den all­ge­mei­nen Gleich­heits­grund­satz des Grund­ge­set­zes. Der VGH ließ die Re­vi­si­on zum Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt wegen grund­sätz­li­cher Be­deu­tung der Rechts­sa­che zu (Az.: 8 C 459/17.N).

Re­ak­ti­on auf NPD-Ur­teil des BVerfG

Die Stadt aus dem Wet­ter­au­kreis in Mit­tel­hes­sen hatte Ende Ja­nu­ar 2017 in einem bun­des­weit wohl ein­ma­li­gen Schritt ver­fügt, dass "Frak­tio­nen aus Ver­tre­tern er­kenn­bar ver­fas­sungs­feind­li­cher Par­tei­en oder Ver­ei­ni­gun­gen" von den Zah­lun­gen aus­ge­nom­men sein sol­len. Mit der Sat­zungs­än­de­rung hatte Bü­din­gen auf das NPD-Ur­teil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts Mitte Ja­nu­ar 2017 (NJW 2017, 611) re­agiert. Das BVerfG hatte die NPD zwar als ver­fas­sungs­feind­lich ein­ge­stuft, sie aber für zu un­be­deu­tend ge­hal­ten, als das ein Ver­bot in Be­tracht komme. Doch gebe es "an­de­re Re­ak­ti­ons­mög­lich­kei­ten" wie den Ent­zug der Par­tei­en­fi­nan­zie­rung. Die Bun­des­län­der grif­fen das kurz dar­auf auf: Der Bun­des­rat be­schloss am 10.02.2017 eine Ent­schlie­ßung zum Aus­schluss von Par­tei­en mit ver­fas­sungs­feind­li­chen Zie­len von der Par­tei­en­fi­nan­zie­rung und sons­ti­gen Leis­tun­gen.

VGH sieht Ver­stoß gegen all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz

In der Bü­din­ger Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung hat die NPD vier Sitze – ent­spre­chend geht es bei dem Rechts­streit um Zu­wen­dun­gen in Höhe von ins­ge­samt 310 Euro pro Jahr. Nun ent­schied der VGH, dass der Aus­schluss von Frak­tio­nen aus Ver­tre­tern er­kenn­bar ver­fas­sungs­feind­li­cher Par­tei­en/Ver­ei­ni­gun­gen von Frak­ti­ons­zu­wen­dun­gen gegen den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Grund­ge­set­zes ver­sto­ße. Ein sol­cher Aus­schluss stel­le eine Un­gleich­be­hand­lung ent­spre­chen­der Frak­tio­nen ge­gen­über den von einem sol­chen Aus­schluss nicht be­trof­fe­nen Frak­tio­nen in der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung der Stadt Bü­din­gen dar, ohne dass es dafür eine sach­li­che Recht­fer­ti­gung gebe. Be­reits das ge­wähl­te Un­ter­schei­dungs­kri­te­ri­um der er­kenn­ba­ren Ver­fas­sungs­feind­lich­keit von Par­tei­en/Ver­ei­ni­gun­gen sei un­zu­läs­sig. Denn nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG dürfe nie­mand wegen sei­ner po­li­ti­schen An­schau­un­gen be­nach­tei­ligt wer­den. Eine zu­läs­si­ge Durch­bre­chung die­ses Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots wegen po­li­ti­scher An­schau­un­gen zu Las­ten einer Par­tei be­zie­hungs­wei­se Ver­ei­ni­gung sei erst dann mög­lich, wenn die er­kenn­ba­re Ver­fas­sungs­feind­lich­keit zu einem Ver­bot der Par­tei durch das BVerfG be­zie­hungs­wei­se zu einem be­hörd­li­chen Ver­bot der Ver­ei­ni­gung ge­führt habe. Bis dahin sei selbst eine er­kenn­ba­re Ver­fas­sungs­feind­lich­keit kein zu­läs­si­ges Un­ter­schei­dungs­kri­te­ri­um. An die­ser Rechts­la­ge habe sich auch durch das Ur­teil des BVerfG vom Ja­nu­ar 2017 (NJW 2017, 611) nichts ge­än­dert.

VGH ver­weist auf Zweck­ge­bun­den­heit der Frak­ti­ons­zu­wen­dun­gen

Hinzu komme, dass der Aus­schluss von Frak­ti­ons­zu­wen­dun­gen nach Ziel­rich­tung und Wir­kung die dem staat­li­chen Be­reich zu­zu­rech­nen­de Frak­ti­on in der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung und nicht die dem ge­sell­schaft­li­chen Be­reich zu­zu­ord­nen­de Par­tei/Ver­ei­ni­gung be­tref­fe. Frak­ti­ons­zu­wen­dun­gen seien zweck­ge­bun­den und sol­len die Auf­wen­dun­gen für die Ar­beit in der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung ganz oder teil­wei­se de­cken. Für eine Fi­nan­zie­rung oder eine sons­ti­ge Un­ter­stüt­zung der "hin­ter" den Frak­tio­nen ste­hen­den Par­tei­en/Ver­ei­ni­gun­gen stün­den sie ge­ra­de nicht zur Ver­fü­gung. Die po­li­ti­sche An­schau­ung von ge­wähl­ten Stadt­ver­ord­ne­ten, die sich zu Frak­tio­nen zu­sam­men­ge­schlos­sen hät­ten, sei daher auch kein sach­ge­rech­tes Kri­te­ri­um für die Zu­tei­lung von Frak­ti­ons­zu­wen­dun­gen.

Stadt hatte auf Si­gnal­wir­kung ge­hofft

"Wir haben ver­lo­ren“, kom­men­tier­te Bü­din­gens Bür­ger­meis­ter Erich Spamer (Freie Wäh­ler) das Ur­teil. Die Stadt werde nun in Ruhe prü­fen, ob sie in die nächs­te In­stanz gehe. Spamer hatte vor der Ver­hand­lung ge­hofft, dass von dem Vor­ge­hen sei­ner Stadt eine Si­gnal­wir­kung aus­ge­hen werde. Der Bü­din­ger NPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de, Da­ni­el Lach­mann, sagte am Rande des Pro­zes­ses, dass es keine Par­tei­en "zwei­ter Klas­se“ geben dürfe.

Städ­te- und Ge­mein­de­bund ent­täuscht

Der Deut­sche Städ­te-und Ge­mein­de­bund be­dau­er­te den Be­schluss. "Wir hät­ten es be­grü­ßt, wenn es den Kom­mu­nen ge­stat­tet wor­den wäre, Frak­tio­nen oder Grup­pie­run­gen von Par­tei­en, die ver­fas­sungs­feind­li­che Ziele ver­fol­gen, öf­fent­li­che Gel­der zu ver­wei­gern“, er­klär­te das Ge­schäfts­füh­ren­de Prä­si­di­al­mit­glied Gerd Lands­berg.

VGH Kassel, Urteil vom 05.04.2017 - 8 C 459/17.N

Redaktion beck-aktuell, 6. April 2017 (dpa).

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