Mittelstufen-Schüler in Hessen setzen Wechselunterricht durch

Die hessische Corona-Einrichtungsschutzverordnung verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, soweit sie für die Klassen 7 bis 10 (Mittelstufe) nur Distanzunterricht vorsieht. Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden am 26.03.2021 dem Eilantrag zweier Schüler der achten bzw. zehnten Klasse auf vorläufige Beschulung in ihrer jeweiligen Jahrgangsstufe im Wege des Wechselunterrichts stattgegeben.

Schüler erzwingen Teilnahme am Wechselunterricht

Die beiden antragstellenden Schüler werden wie alle Schüler der Mittelstufe momentan ausschließlich im Distanzunterricht beschult. Eine ursprünglich zum 22.03.2021 geplante Aufnahme des Wechselunterrichts für die Jahrgänge 7-10 fand nicht statt. Mit ihrem Eilantrag begehrten die Schüler, sie zur Teilnahme am Wechselunterricht in ihren Jahrgangsstufen so lange zuzulassen, bis das Kultusministerium eine Konzeption erarbeitet habe, die die Mittelstufe beim Wechselunterricht berücksichtigt. Das VG gab ihnen nun recht. Das Hessische Schulgesetz gewähre grundsätzlich einen Anspruch der Schüler auf einen Schulbesuch im Weg des Präsenzunterrichts. Die nach derzeitiger Verordnungslage gegebene Ausgestaltung des Schulbetriebes – in Form von Distanzunterricht für die Jahrgangsstufen 7-10 – genüge diesem Anspruch nicht mehr. Die Corona-Einrichtungsschutzverordnung verstoße im Fall der Antragsteller daher gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Corona-Einrichtungsschutzverordnung kein hinreichendes Argument mehr

Insbesondere könne der Antragsgegner dem erhobenen Anspruch auf Zulassung von Wechselunterricht nicht die Regelungen der Corona-Einrichtungsschutzverordnung entgegenhalten, heißt es im mitgeteilten Beschluss weiter. Bei der Wahl der notwendigen Schutzmaßnahmen gegen eine Epidemie bestünde zwar ein Spielraum für den Ausgleich der dabei widerstreitenden Grundrechte. Eine notwendige Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 könne dabei auch die Schließung von Schulen sein. Gleichwohl könne dieser Spielraum mit der Zeit - etwa wegen besonders schwerer Grundrechtsbelastungen und wegen der Möglichkeit zunehmender Erkenntnis - geringer werden. Die gerichtliche Kontrolle beschränke sich darauf, ob sich der Staat (noch) innerhalb dieses Spielraums befinde.

Distanzunterricht für Mittelstufe nur für Übergangszeit hinnehmbar

Das Vorgehen des Antragsgegners zunächst und vorrangig die Jahrgänge 1 bis 6 sowie die Abschlussklassen im Rahmen des Präsenzunterrichts zu beschulen, möge noch nachvollziehbar sein, heißt es im Beschluss weiter. Der vollständige Ausschluss einzelner Jahrgangsstufen vom Präsenz- oder zumindest vom Wechselunterricht im Verhältnis zu anderen Jahrgangsstufen könne allerdings allenfalls für einen Übergangszeitraum hingenommen werden. Falls angesichts der vorhandenen Raumkapazität einer Schule nicht alle Jahrgänge gleichzeitig im Präsenzunterricht beschult werden könnten, müssten alle Jahrgänge von der bereits begonnenen Öffnung der Schulen dergestalt profitieren, dass allen die grundsätzliche Möglichkeit von Präsenz-, beziehungsweise Wechselunterricht, ggf. auch in Form von einer Art Schichtbetrieb, gewährt werde, heißt es im Beschluss weiter. 

Neues Konzept erforderlich

Laut Gericht ist auch ein Abstellen auf die landesweit gestiegenen Infektionszahlen keine ausreichende Begründung für die fortwährende Ungleichbehandlung der Mittelstufe. Denn das Infektionsgeschehen sei in Hessen sehr unterschiedlich. Bei deutlich erhöhter Inzidenz könnten die örtlichen Kreisgesundheitsämter nach dem Infektionsschutzgesetz den Präsenzschulbetrieb einschränken. Der Antragsgegner habe nun eine neue Regelung zu treffen, die die gleichheitswidrige Benachteiligung der Antragsteller beendet. Es müsse dem Antragsgegner gelingen, ein Hygienekonzept für die Schulen zu entwickeln, und hierbei auch den neueren Möglichkeiten der Pandemiebekämpfung Rechnung zu tragen, wie einer Erhöhung der Impfquote der Bevölkerung, die Durchführung von Schnell- oder Selbsttests für Schüler, Lehrer und sonstiges Schulpersonal oder auch der Verwendung von Luftfiltergeräten.

Vorläufige Durchsetzung des Bildungsanspruchs

Um dem Bildungsanspruch der Antragsteller bereits jetzt zur Durchsetzung zu verhelfen und gleichheitswidrige Benachteiligung zu beenden, ist es laut Gericht notwendig, die Antragsteller mit der vorläufigen Zulassung von Wechselunterricht so zu stellen, wie dies derzeit schon für die Jahrgangsstufen 1 bis 6 vorgesehen ist. Es erfolge auch keine Begrenzung der einstweiligen Anordnung auf den Zeitpunkt des Außerkrafttretens der jeweils aktuellen Corona-Einrichtungsschutzverordnung, da nicht feststünde, ob nach den Osterferien 2021 eine Beschulung der Mittelstufe im Wechselunterricht stattfinden könne.

VG Wiesbaden, Beschluss vom 26.03.2021 - 6 L 368/21

Redaktion beck-aktuell, 6. April 2021.