Eilanträge gegen Verkürzung des Genesenenstatus erfolgreich

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mehreren Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Verkürzung des Corona-Genesenenstatus von 180 auf 90 Tage stattgegeben und vorläufig festgestellt, dass die Antragsteller bis zum Ablauf des jeweiligen digitalen COVID-Zertifikats der EU als genesen gelten. Hintergrund ist die vom VG festgestellte Unwirksamkeit der Rechtsgrundlage für die Verkürzung des  Corona-Genesenenstatus.

Entscheidung über Genesenenstatus an RKI delegiert

Konkret geht es um die Vorschrift des § 2 Nr. 4 und 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV). Das VG hält die weitere Delegation (vom Verordnungsgeber) durch die geänderte Fassung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV auf das Robert-Koch-Institut (RKI) für problematisch. Mit der Subdelegation würden, abgesehen von der pauschalen Anforderung, dass der aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zu berücksichtigen sei, keine näheren inhaltlichen Vorgaben für den Genesenen-Nachweis getroffen, sondern diese Entscheidung allein dem RKI überlassen.

Abmilderung von Grundrechtseingriffen aus der Hand gegeben

Mit dieser Regelungstechnik habe der Verordnungsgeber die ihm unter dem Vorbehalt der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat (nur) übertragene und für die Verwirklichung von Grundrechten essentielle Entscheidung, wer als genesen gilt, aus der Hand gegeben. Die Regelung führe dazu, dass allein die wissenschaftlich-fachliche Einschätzung des RKI mit sofortiger Außenwirkung rechtlich verbindlich werde. Damit hätten sich Gesetzgeber beziehungsweise Verordnungsgeber auch der Möglichkeit begeben, Grundrechtseingriffe durch die Festlegung von Übergangsfristen abzumildern, die es den Betroffenen ermöglichen würden, rechtzeitig Vorsorge zu treffen, indem sie sich etwa beizeiten um einen Impftermin bemühen. Es sei nicht Aufgabe des RKI, sondern des Gesetz- beziehungsweise Verordnungsgebers, zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes über gegebenenfalls erforderliche Übergangsfristen zu befinden.  

Verstoß gegen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip

Die in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV angewandte Regelungstechnik der dynamischen Verweisung, mittels derer der Verordnungsgeber im Wege der Subdelegation dem RKI die Konkretisierung der an einen Impf- und Genesenen-Nachweis zu stellenden Anforderungen überlasse, sei außerdem nicht mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip vereinbar, so das VG. Zudem verstoße die aktuelle Fassung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Gebote der Normenklarheit und der Bestimmtheit.

Vorgehende Fassung der Vorschrift greift zugunsten der Antragsteller

Die Unwirksamkeit der aktuellen Fassung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV habe zur Folge, dass für die jeweiligen Antragsteller die vorhergehende und für sie günstigere Fassung der Vorschrift vom 08.05.2021 weiterhin gelte.

Zu erwartende Änderung der Rechtslage nicht berücksichtigt

Die Beschlüsse, die unmittelbar nur zugunsten der jeweiligen Antragsteller gelten, sind laut VG bislang noch nicht rechtskräftig. Das Gericht betont außerdem, dass sich die Entscheidungen ausschließlich auf die Fassung der SchAusnahmV vom 14.01.2022 beziehen. Inwieweit sich die in Kürze zu erwartende Änderung der Rechtslage (voraussichtlich ab 19.03.2022) auf die Rechtmäßigkeit des Genesenenstatus auswirkt, sei offen.

VG Stuttgart

Redaktion beck-aktuell, 17. März 2022.