Antisemitismusbeauftragter muss Twitter-Äußerungen über "Achse des Guten" teils unterlassen

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat dem Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg bestimmte Twitter-Äußerungen über das Blogportal "Achse des Guten" in einem Eilverfahren verboten. Die beiden Äußerungen "Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen" und "Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben" verletzten die Portalbetreiberin in Grundrechten.

Antisemitismusbeauftragter äußerte sich über Twitter zur "Achse des Guten"

Audi hatte in Reaktion auf einen anonymen Tweet beschlossen, keine Werbung mehr auf dem Blogportal "Achse des Guten" zu schalten. Der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg, Michael Blume, begrüßte diese Entscheidung in einem über seinen offiziellen Twitter-Account veröffentlichten Tweet und schrieb weiter: "Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen. Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben". Dagegen wandte sich die Portalbetreiberin mit einem Eilantrag. Sie sieht sich durch die Äußerungen in ihren Grundrechten auf Pressefreiheit, Chancengleichheit und Berufsausübungsfreiheit sowie in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletzt. Die Veröffentlichung stelle eine offizielle staatliche Verlautbarung dar, die als Aufruf zum wirtschaftlichen Boykott und als schwerwiegende Diffamierung des von ihr betriebenen Mediums zu bewerten sei.

VG verbietet zitierte Äußerungen

Das VG hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der beiden zitierten Passagen stattgegeben. Insoweit sei die Portalbetreiberin in ihrer Pressefreiheit, Berufsfreiheit und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch hoheitliches Handeln des Antragsgegners rechtswidrig beeinträchtigt worden und müsse eine Wiederholung befürchten. Für die Aussage "Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben" fehle bereits die erforderliche gesetzliche Grundlage. Der Antragsgegner könne sich insoweit nicht auf seine verfassungsunmittelbare Aufgabe der Staatsleitung stützen, weil die Aussage als funktionales Äquivalent für einen klassischen Grundrechtseingriff zu qualifizieren sei. Aus Sicht eines verständigen Bürgers ziele der Antisemitismusbeauftragte mit der Aussage darauf ab, dass potentielle Werbekunden davon absehen, Werbeanzeigen auf dem Blogportal zu schalten, und ermögliche und fördere damit unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität seines Amts konkrete Schritte gegen die Blogbetreiberin. Nach ihrem Inhalt und Zweck stelle die Aussage sich als typisches auf den Einzelfall bezogenes Verwaltungshandeln dar, das dem Rechtsgüterschutz durch Bekämpfung angenommener Gefahren diene.

Verstoß gegen Sachlichkeitsgebot

Die Aussage "Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen" sei ebenfalls rechtswidrig, weil sie gegen das Sachlichkeitsgebot verstoße. Dieses Gebot verlange, dass eine amtliche Äußerung in einem konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben des Äußernden stehe, auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhe und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreite. Vorliegend habe der Antragsgegner keine ausreichenden sachlichen Anhaltspunkte dafür dargetan, dass der Antisemitismusbeauftragte die Meinung vertreten und äußern dürfe, dass Autoren, die Beiträge auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichten, "rassistische" oder "demokratiefeindliche" Positionen vertreten.

Übrige Äußerungen rechtmäßig

Hingegen bestehe für die Äußerungen "Dr. Michael Blume begrüßte die Entscheidung von @AudiOfficial, nach ,Gastbeiträgen' des Verschwörungsmythologen #Homburg nicht länger Werbeanzeigen auf #achgut zu schalten" und "Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden" kein Unterlassungsanspruch. Diese wiesen ohne Weiteres einen konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe des Antisemitismusbeauftragten, die Gesellschaft für aktuelle Formen des Antisemitismus durch Öffentlichkeitsarbeit zu sensibilisieren, auf und verletzten weder das Sachlichkeitsgebot noch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zum einen habe der Antragsgegner verschiedene auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichte Beiträge vorgelegt, die die zweite Äußerung rechtfertigten.

Beauftragter durfte Audis Werbestopp über Portal loben

Zum anderen träfen die Tatsachenbehauptungen, dass Audi entschieden habe, keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten, und dass dieser Entscheidung Gastbeiträge von Stefan Homburg auf dem Blogportal zeitlich vorausgelegen hätten, sachlich zu. Ferner halte sich das Homburg zugeschriebene Werturteil "Verschwörungsmythologe" im Rahmen des sachlich Gebotenen, weil es auf einem im Wesentlichen zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhe. Angesichts dessen sei auch nicht zu beanstanden, dass der Antisemitismusbeauftragte die Entscheidung von Audi, keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten, "begrüßt". Denn er dürfe sich ohne Bindung an ein Neutralitätsgebot auch lobend zu den Werbeaktivitäten eines Wirtschaftsunternehmens äußern, wenn dies auf hinreichender Tatsachenbasis sachbezogen mit dem legitimen Ziel erfolge, die Finanzierung der Verbreitung von Verschwörungsmythen auf der Internetseite eines Medienunternehmens aufzudecken, und die Ebene eines sachlichen, rationalen Diskurses nicht verlassen werde.

VG Stuttgart, Beschluss vom 22.09.2022 - 1 K 3675/22

Redaktion beck-aktuell, 27. September 2022.