In Frankreich wohnende Schüler begehren Fahrtkosten für Schulbesuch in Rheinland-Pfalz
Die beiden Kläger wohnen mit ihren Eltern, die wie sie deutsche Staatsangehörige sind, in Wissembourg/Frankreich. Seit dem Schuljahr 2010/2011 (Kläger zu 1) beziehungsweise seit dem Schuljahr 2013/2014 (Klägerin zu 2) besuchen sie die Realschule plus in Bad Bergzabern. Der Schulweg, den sie mit dem Bus zurücklegen, ist länger als vier Kilometer. Bis zum Schuljahr 2014/2015 übernahm der beklagte Landkreis die Fahrtkosten.
Weitere Kostenübernahme mangels Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses abgelehnt
Mit Bescheiden vom Juni 2015 teilte er mit, dass eine weitere Übernahme dieser Kosten nicht mehr möglich sei, da nach § 69 des rheinland-pfälzischen Schulgesetzes (SchulG RPF) die Schüler ihren Wohnsitz in Rheinland-Pfalz haben müssten. Dagegen erhoben die Kläger nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Klage.
Kläger monieren Verstoß gegen EU-Recht
Sie machten geltend, die von dem Beklagten vertretene Rechtsauffassung stehe nicht in Einklang mit den Vorgaben des europäischen Rechts, wonach Grenzgänger nicht diskriminiert werden dürften. Der Vater der Kläger habe in den zurückliegenden Jahren als Grenzgänger mit Wohnsitz in Frankreich und Arbeitsstätte in Deutschland Abgaben an die Sozialversicherungsträger geleistet.
VG bejaht Anspruch aus EU-Arbeitnehmerfreizügigkeitsverordnung
Das VG hat der Klage stattgegeben. Zwar folge der Anspruch der Kläger nicht unmittelbar aus § 69 SchulG RPF, da es an der Voraussetzung eines Wohnsitzes in Rheinland-Pfalz fehle. Dennoch sei der Beklagte zu verpflichten, die Schülerbeförderungskosten der Kläger für das Schuljahr 2015/2016 zu übernehmen. Das VG leitet diesen Anspruch aus Art. 7 Abs. 2 der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeitsverordnung 492/2011/EU her. Danach dürfe ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats sei, aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaates hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer. Er genieße dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.
VG verweist auf EuGH-Entscheidung zu Wohnsitzerfordernis für Studienbeihilfe
Das VG verwies auch auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Juni 2013 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift. Danach sei diese Bestimmung dahin auszulegen, dass sie grundsätzlich einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehe, die die Gewährung einer finanziellen Studienbeihilfe von der Erfüllung eines Wohnsitzerfordernisses durch den Studierenden abhängig mache und die zu einer mittelbaren Diskriminierung von in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässigen Personen und von Personen führe, die zwar nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig, aber Kinder von Grenzgängern seien, die in diesem Mitgliedstaat eine Tätigkeit ausübten.
EuGH-Entscheidung übertragbar
Diese Entscheidung ist nach Ansicht des VG auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Kläger, die in Frankreich wohnten, seien von der Leistung des § 69 SchulG RPF nur deshalb ausgeschlossen, weil sie ihren Wohnsitz nicht in Rheinland-Pfalz hätten. Die Übernahme der Schülerbeförderungskosten durch den Beklagten nach § 69 SchulG RPF stelle auch eine soziale Vergünstigung für Arbeitnehmer im Sinne des Art. 7 Abs. 2 der Arbeitnehmerfreizügigkeitsverordnung dar, denn sie werde zur Bestreitung des Lebensunterhalts der Schüler während des Schulbesuchs gewährt und entlaste damit die unterhaltspflichtigen Eltern. Da die Kostenübernahme gegenüber den Schülern erfolge, müssten auch sie sich auf diese Bestimmung der Verordnung berufen können, damit die beabsichtigte Entlastungswirkung bei ihren Eltern erzielt werden könne.
Deutsche Staatsangehörigkeit steht Anspruch nicht entgegen
Unschädlich für den von den Klägern geltend gemachten Anspruch sei, dass sowohl sie als auch ihre Eltern deutsche Staatsangehörige seien, so das VG weiter. Die Eltern, die in Frankreich wohnten und in Deutschland arbeiteten, könnten sich auch als deutsche Staatsangehörige auf die betreffende Bestimmung berufen. Diese Bestimmung komme allen Grenzarbeitnehmern zugute, die ihre unselbstständige Erwerbstätigkeit in dem Mitgliedstaat ausübten, um dessen Leistung es konkret gehe, die aber in einem anderen Mitgliedstaat wohnten. Der Einzelne könne sich auch seinem eigenen Staat gegenüber auf das Freizügigkeitsrecht berufen, wenn ein Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat gegeben sei. Für die Anwendung der Regelung genüge es, dass ein Unionsbürger Arbeitnehmer sei und seine Situation durch ein grenzüberschreitendes Element gekennzeichnet sei.
Ungleichbehandlung auch nicht gerechtfertigt
Laut VG ist auch kein legitimes Ziel im Sinne der Rechtsprechung des EuGH erkennbar, das die Ungleichbehandlung von Grenzgängern bei der Gewährung von Schülerbeförderungskosten rechtfertigen könnte. Der in Betracht kommende Gesichtspunkt von Haushaltserwägungen vermöge die festgestellte Diskriminierung nicht zu rechtfertigen.