Land­kreis muss keine Aus­kunft über Co­ro­na-In­fek­ti­ons­zah­len in Orts­ge­mein­den er­tei­len

Der Land­kreis Süd­west­pfalz muss der Pir­ma­sen­ser Zei­tung keine Aus­kunft über die Co­ro­na-In­fek­ti­ons­zah­len auf­ge­schlüs­selt nach den ein­zel­nen Orts­ge­mein­den er­tei­len. Dies hat das Ver­wal­tungs­ge­richt Neu­stadt an der Wein­stra­ße am 29.10.2020 in einem Eil­ver­fah­ren ent­schie­den. Auf­grund der ge­rin­gen Größe der Kreis­ge­mein­den be­stün­de sonst die Ge­fahr einer Iden­ti­fi­zie­rung und Stig­ma­ti­sie­rung Co­ro­na-Be­trof­fe­ner.

Land­kreis lehn­te Aus­kunft über In­fek­ti­ons­zah­len in Orts­ge­mein­den ab

Die An­trag­stel­le­rin ist Her­aus­ge­be­rin der in Pir­ma­sens er­schei­nen­den Re­gio­nal­zei­tung "Pir­ma­sen­ser Zei­tung". Der Land­kreis Süd­west­pfalz lehn­te ihren An­trag, ihr die Co­ro­na-In­fek­ti­ons­zah­len auf­ge­schlüs­selt nach den ein­zel­nen Orts­ge­mein­den des Land­krei­ses Süd­west­pfalz mit­zu­tei­len, mit der Be­grün­dung ab, auf Emp­feh­lung des Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­ten wür­den keine In­fek­ti­ons­zah­len auf Ebene der Orts­ge­mein­de be­kannt­ge­ge­ben.

Zei­tung be­ruft sich auf Pres­se­frei­heit

Da­ge­gen be­gehr­te die An­trag­stel­le­rin Eil­rechts­schutz. Sie mach­te gel­tend, es sei ein In­for­ma­ti­ons­be­dürf­nis der Bür­ger über das In­fek­ti­ons­ge­sche­hen in ihrem Hei­mat­ort und re­gio­na­len Um­feld vor­han­den. Denn jeder könne sich bes­ser schüt­zen, wenn er wisse, ob even­tu­ell ein In­fek­ti­ons­ge­sche­hen im di­rek­ten Um­feld vor­han­den sei. Mit den er­wünsch­ten Aus­künf­ten sei eine in­di­vi­du­el­le Zu­ord­nung von Zah­len zu kon­kret Be­trof­fe­nen auch in klei­nen Orts­ge­mein­den nicht mög­lich. Die be­gehr­te Auf­schlüs­se­lung führe auch nicht dazu, dass aus der Be­richt­erstat­tung Rück­schlüs­se auf be­stimm­te Per­so­nen mög­lich seien. Die An­trag­stel­le­rin be­rief sich auf das grund­ge­setz­lich ge­schütz­te Selbst­be­stim­mungs­recht der Pres­se.

VG ver­neint pres­se­recht­li­chen Aus­kunfts­an­spruch

Das VG hat den Eil­an­trag ab­ge­lehnt. Die An­trag­stel­le­rin habe kei­nen pres­se­recht­li­chen Aus­kunfts­an­spruch auf die be­gehr­ten In­for­ma­tio­nen. Zwar trä­fen ge­biets­be­zo­ge­ne In­for­ma­tio­nen zu den Co­ro­na-Fall­zah­len ak­tu­ell auf ein sehr hohes öf­fent­li­ches In­ter­es­se. Dies gelte ins­be­son­de­re im Hin­blick dar­auf, dass viel­fach dis­ku­tier­te Ein­däm­mungs­stra­te­gi­en der­zeit auch an ak­tu­el­le, ge­biets­be­zo­ge­ne In­fek­ti­ons­fall­zah­len an­knüpf­ten. Damit böten die um­strit­te­nen Daten zwei­fel­los eine Grund­la­ge der öf­fent­li­chen Mei­nungs­bil­dung. Dabei stehe nicht ent­ge­gen, dass das zu­stän­di­ge Ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um des Lan­des Rhein­land-Pfalz nur Zah­len auf der Ebene der Land­krei­se ver­öf­fent­li­che. Denn es müsse der Pres­se un­be­nom­men blei­ben, selbst zu ent­schei­den, wel­che Da­ten­grund­la­ge sie für ihre Be­richt­erstat­tung her­an­zie­he. Eine Be­wer­tung und Ge­wich­tung des In­for­ma­ti­ons­in­ter­es­ses der Pres­se komme grund­sätz­lich nicht in Be­tracht.

Ge­rin­ge Größe der Ge­mein­den macht In­fi­zier­te iden­ti­fi­zier­bar

Je­doch könne der An­trags­geg­ner die be­gehr­ten Aus­künf­te ver­wei­gern, wenn ein über­wie­gen­des öf­fent­li­ches oder schutz­wür­di­ges pri­va­tes In­ter­es­se ver­letzt würde. Dies sei hier der Fall. Das VG sieht eine be­acht­li­che Ge­fahr, dass eine Ver­öf­fent­li­chung der In­fek­ti­ons­zah­len auf Orts­ge­mein­de­ebe­ne zu einer Be­stimm­bar­keit der be­trof­fe­nen Per­so­nen füh­ren würde. Ma­ß­geb­lich dafür sei vor allem die äu­ßerst klein­tei­li­ge Ge­mein­de­struk­tur im Land­kreis Süd­west­pfalz mit teil­wei­se we­ni­ger als 200 Ein­woh­nern. Dem­entspre­chend ge­ring seien die In­fek­ti­ons­zah­len. An­ge­sichts des­sen sei es nicht nur wahr­schein­lich, dass in­fi­zier­te Per­so­nen in den klein­tei­li­gen Ge­mein­den ins­be­son­de­re über den Aus­tausch in so­zia­len Netz­wer­ken be­stimm­bar seien, son­dern dass von die­ser Mög­lich­keit auch tat­säch­lich Ge­brauch ge­macht werde.

Ge­fahr der Stig­ma­ti­sie­rung

Denn die bis­he­ri­ge Ent­wick­lung seit dem Aus­bruch der Pan­de­mie habe ge­zeigt, dass im Zuge der zu­neh­mend an­ge­spann­ten po­li­ti­schen Dis­kus­si­on über den rich­ti­gen Um­gang auch immer wie­der ver­sucht wor­den sei, an­knüp­fend an Sta­tis­ti­ken dar­über zu spe­ku­lie­ren, ob sich in­fi­zier­te oder unter Qua­ran­tä­ne ste­hen­de Ein­zel­per­so­nen, ein­zel­ne Fa­mi­li­en oder auch be­stimm­te Grup­pen – mög­li­cher­wei­se zu Un­recht – nicht an die vor­ge­schrie­be­nen oder emp­foh­le­nen Vor­sichts­maß­nah­men hiel­ten. Ge­ra­de die sehr ge­rin­gen (ab­so­lu­ten) In­fek­ti­ons­zah­len in den ma­ß­geb­li­chen klei­nen pfäl­zi­schen Orts­ge­mein­den könn­ten zu einer sol­chen Vor­ge­hens­wei­se her­aus­for­dern. Damit setze sich der Schutz­an­spruch der Be­trof­fe­nen hier ge­gen­über dem In­for­ma­ti­ons­recht der Pres­se durch.

VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 29.10.2020 - 5 L 930/20

Redaktion beck-aktuell, 30. Oktober 2020.

Mehr zum Thema