ChatGPT und andere Programme, die Künstliche Intelligenz (KI) verwenden, um Texte zu generieren, werden zunehmend zu einem Problem für die akademische Welt. Wenn bei wissenschaftlichen Arbeiten kaum mehr überprüfbar ist, ob sie eigenständig oder von einer Maschine verfasst wurden, werden solche Aufgabenstellungen womöglich bald der Vergangenheit angehören. Solange es sie aber noch gibt, müssen Lehrstühle mit der Unklarheit leben und arbeiten.
Die Technische Universität (TU) München hatte einen Bewerber für einen Masterstudiengang im August 2023 vom Auswahlverfahren ausgeschlossen, da man der Meinung war, sein eingereichter Essay stamme nicht aus seiner, sondern aus der Feder des KI-Programms ChatGPT. Das VG München (Beschluss vom 28.11.2023 - M 3 E 23.4371) hat diese Entscheidung nun in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebilligt.
Im gerichtlichen Verfahren hatte die Uni ausgeführt, der Essay sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu 45 % von künstlicher Intelligenz verfasst worden. Dies ergebe sich aus der hohen sprachlichen Qualität des auf Englisch verfassten Aufsatzes. Er weiche, so paraphrasiert das VG die Stellungnahme der Universität, "durch seine Perfektion, seinen Satzbau und die Textgestaltung von dem ab, was nach der Lebenserfahrung von einem Bachelorabsolventen zu erwarten sei".
Anscheinsbeweis für KI-Nutzung
Zudem hatte die Universität das Programm ChatGPT mit Anweisungen für einen entsprechenden Essay einen Text erstellen lassen, der mit dem vom Bewerber vorgelegten offenbar signifikante Ähnlichkeiten aufwies. Diesen Verdacht ließ sie sich durch zwei erfahrene Prüfer bestätigen. Hieraus leitete man einen Anscheinsbeweis für einen Täuschungsversuch ab, den man mit dem Fortschreiten von KI-Software erklärte, deren Verwendung man Einhalt gebieten müsse.
Der Bewerber hielt dem entgegen, die von der Universität eingesetzte Plagiatssoftware, die einen Verdacht gemeldet und so die Überprüfung ins Rollen gebracht hatte, sei noch neu und nicht zuverlässig. Außerdem stelle die Universität bloß Mutmaßungen an, wenn sie behaupte, ein Bachelor-Absolvent sei zu einem englischen Essay auf diesem sprachlichen Niveau nicht in der Lage. Schließlich habe das KI-Programm keinen Zugriff auf wissenschaftliche Quellen und könne somit die Nachweise gar nicht erstellen. Vor dem VG München forderte der verhinderte Master-Student daher nun eine einstweilige Anordnung, um zum Wintersemester 2023/24 in das erste Fachsemester zugelassen zu werden.
Den Antrag wies das Gericht jedoch zurück, da er keinen hinreichenden Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Der Anscheinsbeweis für ein wissenschaftliches Fehlverhalten sei hier zulässig und auch erbracht. Der Essay unterscheide sich "über seinen gesamten Umfang auffällig von denen der anderen Bachelorabsolventen", so das VG. Der Text unterscheide sich aber vor allem auch von dem von dem Bewerber selbst im Vorjahr abgegebenen Essay und weise zudem Merkmale auf, "die für durch Künstliche Intelligenz erstellte Texte typisch sind", so das VG. Der Bewerber war im Jahr zuvor im Bewerbungsverfahren für den Studiengang gescheitert, auch damals hatte er einen Aufsatz eingereicht.
Starke Struktur, stringente Logik, komprimierter Inhalt
Das Gericht stützte seine Entscheidung auf die Expertise der beiden von der Universität herangezogenen Prüfer. Nach deren Einschätzung sprächen vor allem die stark strukturierte Form und fehlende, in englischen Texten von Bachelor-Absolventen typischerweise auftretende logische und inhaltliche Brüche für den Einsatz von KI-Software. Zudem sei dieser Aufsatz im Vergleich zu den anderen eingereichten Texten deutlich kürzer gewesen. Bachelor-Absolventen neigten jedoch regelmäßig zu verschachtelter und überlanger Ausdrucksform. Gleichzeitig enthalte der Essay des Antragstellers jedoch alle relevanten inhaltlichen Punkte. Dies sei eine wesentliche Stärke von KI-Programmen. Die Arbeit des Antragstellers sei außerdem in hervorragendem Englisch und ohne jegliche Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler verfasst, was höchst selten vorkomme.
In Summe befand das Gericht den Anscheinsbeweis für stichhaltig, da die Kammer ihn eben nicht – wie vom Antragsteller kritisiert – für eine pauschale Unterstellung hielt. Vielmehr hätten die beiden Prüfer die einzelnen Merkmale und Auffälligkeiten konkret und nachvollziehbar dargelegt. Warum er aus der Gruppe der übrigen Bewerber derart herausrage, habe der Mann nicht dargelegt.
Dabei erkannte das Gericht durchaus an, dass seine Vita ein sehr gutes englisches Essay nicht unmöglich erscheinen ließ. So hatte der Bewerber sein Bachelor-Studium mit "sehr gut" (1,45) abgeschlossen und fünf Monate an einer Universität in den USA verbracht. Nach Ansicht der Prüfer konnte selbst dies jedoch nicht eine derart herausragende Qualität seines Essays erklären, zumal gute Englischkenntnisse Zulassungsvoraussetzung für den Studiengang waren und daher auch die anderen Bewerber typischerweise ein recht hohes Niveau an den Tag legten. Außerdem blieb der Aufsatz im Rahmen seiner früheren, erfolglosen Bewerbung hinter dem nun eingereichten wohl qualitativ deutlich zurück.