VG Köln hält NetzDG für teilweise unionsrechtswidrig
verbotsschild_netzdg_CR_bluedesign_adobe
© bluedesign / stock.adobe.com
verbotsschild_netzdg_CR_bluedesign_adobe

Das Verwaltungsgericht Köln hält zentrale Vorschriften des novellierten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), darunter die Meldepflicht gegenüber dem Bundeskriminalamt, für unionsrechtswidrig. Es hat daher Eilanträgen von Google und Meta teilweise stattgegeben. Die Meldepflicht verstoße gegen das Herkunftslandprinzip.

Unter anderem Meldepflicht gegenüber BKA

Das novellierte NetzDG verpflichtet mit dem neu eingefügten § 3a Anbieter sozialer Netzwerke dazu, Inhalte, die ihnen im Rahmen einer Beschwerde über rechtswidrige Inhalte (sog. NetzDG-Beschwerde) gemeldet worden sind und welche sie entfernt oder zu denen sie den Zugang gesperrt haben, auf das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für bestimmte Straftatbestände zu überprüfen. Liegen solche Anhaltspunkte vor, müssen die Inhalte zusammen mit bestimmten Nutzerangaben an das Bundeskriminalamt übermittelt werden. § 3b NetzDG verpflichtet die Anbieter sozialer Netzwerke dazu, ein Gegenvorstellungsverfahren in Bezug auf Entscheidungen über die Entfernung oder die Sperrung des Zugangs zu einem Inhalt einzuführen. In § 4a NetzDG wird das Bundesamt für Justiz als für die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des NetzDG zuständige Behörde bestimmt.

Eilanträge von Google und Meta teilweise erfolgreich

Die in Irland niedergelassenen Anbieter der sozialen Netzwerke Youtube (Google Ireland Ltd.), Facebook und Instagram (beide Meta Platforms Ireland Limited) beantragten mit ihren Eilanträgen jeweils die Feststellung, dass sie nicht den neu geschaffenen Pflichten des NetzDG unterliegen. Zur Begründung machten sie Verstöße gegen Unionsrecht sowie nationales Verfassungsrecht geltend. Das VG hat den Eilanträgen teilweise stattgegeben. Soweit sie sich auch auf die Pflicht bezögen, ein Gegenvorstellungsverfahren in Bezug auf Entscheidungen über die Entfernung oder die Sperrung des Zugangs zu einem Inhalt einzuführen, denen keine NetzDG-Beschwerde zugrunde liege, fehle es allerdings am Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit müssten sich die Antragstellerinnen auf den Rechtsschutz gegen etwaige aufsichtsbehördliche Verfügungen verweisen lassen.

BKA-Meldepflicht verstößt gegen Herkunftslandprinzip

In der Sache hat das Gericht entschieden, der Gesetzgeber habe bei der Einführung des § 3a NetzDG gegen das Herkunftslandprinzip der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL) verstoßen. Nach diesem Prinzip richten sich die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedsstaat der EU niedergelassenen Anbieter elektronischer Dienste nach dem Recht seines Sitzstaates. Die Antragsgegnerin könne sich nicht auf Ausnahmen von diesem Prinzip berufen, da der Gesetzgeber weder das für Ausnahmen vorgesehene Konsultations- und Informationsverfahren durchgeführt habe noch die Voraussetzungen eines Dringlichkeitsverfahrens vorgelegen hätten.

Zuständigkeitsregelung verstößt gegen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste

Laut VG ist auch § 4a NetzDG unionsrechtswidrig. Die Vorschrift, die nur im Verfahren von Google Streitgegenstand gewesen sei, verstoße gegen die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, die auf Videosharingplattform-Dienste Anwendung finde. Diese statuiere den Grundsatz der rechtlichen und funktionellen Unabhängigkeit der zur Überwachung der Pflichtenerfüllung der Diensteanbieter zuständigen Medienbehörden. Da das als Bundesoberbehörde eingerichtete Bundesamt für Justiz mit Sitz in Bonn dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz unterstehe und von diesem Weisungen entgegennehme, könne von der von der Richtlinie geforderten Staatsferne beim Bundesamt für Justiz keine Rede sein, so das VG.

Gegenvorstellungsverfahren nach Entscheidungen über NetzDG-Beschwerden unionsrechtskonform

Im Verfahren der Meta Platforms Ireland Limited hat das Gericht den Antrag in Bezug auf das mit § 3b Abs. 1 NetzDG eingeführte Gegenvorstellungsverfahren nach Entscheidungen über NetzDG-Beschwerden abgelehnt. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Vorschrift sei von der Befugnis der EU-Mitgliedstaaten zur Festlegung von Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr (Art. 14 Abs. 3 ECRL) gedeckt. Auch ein Verstoß gegen die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistete unternehmerische Freiheit oder nationales Verfassungsrecht sei nicht gegeben.

Bundesjustizministerium prüft Beschwerde  

Das Bundesjustizministerium prüft nun, ob es gegen die Beschlüsse Beschwerde einlegen wird. Das Ministerium werde "die Entscheidung dazu sorgfältig auswerten und prüfen, welche Folgerungen insgesamt aus der Entscheidung zu ziehen sind", erklärte eine Sprecherin des Ministeriums heute. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens werde man in der Sache keine Maßnahmen gegen Google und den Facebook-Konzern Meta ergreifen. "Dies hat die Bundesrepublik bereits zu Beginn der Eilverfahren zugesagt. Und diese Zusage gilt auch weiterhin." Die Sprecherin betonte, bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts handelt es sich um eine Entscheidung in einem Eilverfahren. "In diesen Verfahren gilt ein anderer rechtlicher Maßstab als in ordentlichen Verfahren. Die endgültige Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen wird der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten sein."

VG Köln, Beschluss vom 01.03.2022 - 6 L 1277/21

Redaktion beck-aktuell, 2. März 2022.