2018 hatte die Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur (BNetzA) die Spielregeln festgelegt, nach denen im Jahr darauf die Frequenzen für 5G-Mobilgeräte versteigert wurden. Bei der Auktion ersteigerten schließlich vier Telekommunikationskonzerne Frequenzen für insgesamt 6,5 Milliarden Euro. Die Regeln der BNetzA verpflichteten sie unter anderem zu Mindestausbauzielen: Bis Ende 2022 sollten 98% der Haushalte in jedem Bundesland mit mindestens 100 Mbit pro Sekunde im Download angebunden sein. Auf eine Diensteanbieterverpflichtung verzichtete der Bund hingegen. Damit mussten die siegreichen Unternehmen zwar mit Konkurrenten ohne eigene Netzinfrastruktur über die Mitnutzung von Funkkapazitäten verhandeln, eine Einigung war aber nicht vorgeschrieben.
Mit EWE Tel und Freenet fühlten sich zwei kleinere Mobilfunkanbieter benachteiligt und zogen vor Gericht. Sie begründeten ihre Klagen mit schwerwiegenden Verfahrens- und Abwägungsfehlern der Präsidentenkammerentscheidung. Das Verfahren sei insbesondere durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) unter Leitung des damaligen Bundesministers Andreas Scheuer (CSU) in rechtswidriger Weise beeinflusst worden.
Das VG Köln (Urteil vom 26.08.2024 – 1 K 1281/22) gab den Mobilfunkanbietern Freenet und EWE Tel recht. Die Entscheidung der Präsidentenkammer im Jahr 2018 sei rechtswidrig gewesen, über die Versteigerungsregeln müsse sie neu entscheiden. Die Klage hatte 2019 schon einmal beim VG Köln gelegen, das sie damals als unzulässig abgewiesen hatte. Das BVerwG hatte sie aber an das VG zurückgegeben (Urteil vom 21.10.2021 - 6 C 8.20).
Massiver Druck des Verkehrsministeriums
In dem zurückverwiesenen Verfahren sowie in dem noch anhängigen Verfahren der zweiten Diensteanbieterin (Az.: 1 K 8531/18) führte das VG Anfang Juni 2024 eine Beweisaufnahme durch und kam jetzt zu dem Ergebnis, dass die Politik auf eine eigentlich unabhängige Behörde rechtswidrig Einfluss genommen habe. Der Vorwurf eines politischen Deals habe sich bestätigt. Dieser habe vorgesehen, dass die Netzbetreiber zwar zu harten Ausbauzielen verdonnert wurden, dafür beim Thema Netzvermietung an kleinere Anbieter aber milde behandelt wurden.
Die Präsidentenkammerentscheidung sei daher formell rechtswidrig. Die konkrete Verfahrensgestaltung vor der Entscheidung begründe die Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder der Präsidentenkammer. Es reiche der "böse Schein", kein Mitglied müsse tatsächlich befangen gewesen sein.
Das Gericht zeigte sich überzeugt, dass die Präsidentenkammer massivem Druck von Seiten des BMVI zumindest teilweise nachgegeben hat. Das BMVI habe während des gesamten Vergabeverfahrens im Jahr 2018 in erheblicher Weise versucht, auf die Entscheidungen der Präsidentenkammer Einfluss zu nehmen, indem es sich für strengere Versorgungsverpflichtungen einsetzte. Die Einflussnahme zeige sich in der Gesamtschau verschiedener Reaktionen der Präsidentenkammer, etwa zu Beginn des Verfahrens im Zurückziehen erster Erwägungen, oder in der terminlichen Gestaltung des Verfahrens wie der aus Rücksicht auf das BMVI erfolgten Verlegung der mündlichen Anhörung auf den Tag nach dem Mobilfunkgipfel vom 12. Juli 2018. Darüber hinaus habe es mehrere persönliche Treffen zwischen Mitgliedern der Präsidentenkammer und den damaligen Bundesministern Scheuer und Altmaier sowie dem seinerzeitigen Chef des Bundeskanzleramts Braun gegeben, bei denen die Präsidentenkammer nachdrücklich zu Änderungen aufgefordert worden sei.
Zwar seien politische Stellungnahmen unschädlich, soweit Ministerien diskursive Beteiligungsrechte wahrnehmen, die ihnen in einem institutionalisierten Rahmen zukommen. Ein solcher Rahmen habe hier aber nicht vorgelegen. Die mangelnde Transparenz habe für die am Vergabeverfahren beteiligten Kreise den Eindruck eines politischen und damit für die Frequenzversteigerung sachwidrigen "Nebenverfahrens" entstehen lassen.
Druck veränderte die Entscheidung der BNetzA
Aus denselben Gründen ist das Gericht überzeugt, dass es im Vergabeverfahren zu einem Verstoß gegen die unionsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der BNetzA als nationaler Regulierungsbehörde gekommen ist, da die BNetzA ihre Unabhängigkeit nicht ausreichend aktiv geschützt habe, indem sie die ministeriellen Einflussnahmeversuche weder auf Ebene der Ministertreffen noch auf Facharbeitsebene unterbunden habe.
Nach alledem leide die Präsidentenkammerentscheidung auch an einem materiellen Fehler im Abwägungsvorgang. Da die Forderungen des BMVI teilweise Eingang in die Vergaberegeln gefunden haben, könne die Annahme einer faktischen Vorfestlegung nicht ausgeschlossen werden. Es liege vielmehr nahe, dass die Präsidentenkammer ihre Entscheidung ohne die massive Einflussnahme durch das BMVI im Einzelnen anders ausgestaltet hätte.
Auswirkungen auf Mobilfunkkunden unklar
Wie sich das Urteil auf die Mobilfunkkunden in Deutschland auswirken wird, ist noch unklar, auch weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Das VG hat zwar keine weitere Revision zugelassen. Die Bundesnetzagentur kann aber eine Zulassung der Revision beim BVerwG anstreben. "Wir erwarten keine negativen Auswirkungen auf den weiteren zügigen Ausbau der Mobilfunknetze in Deutschland", sagte ein Behördensprecher.
Freenet erklärte, fast sechs Jahre nach der Präsidentenkammerentscheidung herrsche endlich Klarheit. "Das Gericht hat dokumentiert, dass das Verhandlungsgebot seinen Weg in die Präsidentenkammerentscheidung nur aufgrund rechtswidriger Einflüsse gefunden hat." Zwar könne die Aufhebung der 5G-Vergabeentscheidung die für den Wettbewerb verlorenen Jahre nicht rückgängig machen. "Aber nun steht einer Entscheidung im Verbraucherinteresse nichts mehr entgegen. Wir setzen auch vor dem Hintergrund des laufenden Frequenzvergabeverfahrens darauf, dass die Bundesnetzagentur der Aufforderung des Gerichts zeitnah folgt und dabei das spätestens seit heute verbrannte Verhandlungsgebot wieder durch eine wirksame Wettbewerbsregulierung ersetzt."
"Ohrfeige für Scheuer"
Norbert Westfal, Sprecher der Geschäftsführung EWE Tel, begrüßte die Entscheidung ebenfalls. Sie stärke nicht nur eine unabhängige BNetzA, sondern vor allem den Wettbewerb im Mobilfunkmarkt. "Wir gehen davon aus, dass die Bundesnetzagentur das Urteil zum Anlass nehmen wird, um wichtige Entscheidungen - insbesondere die bisher fehlende Diensteanbieterverpflichtung - aus dem damaligen Vergabeverfahren kritisch zu prüfen, da diese den Mobilfunkmarkt bis heute belasten." Nun bestehe die Chance, dass die massiven Wettbewerbsprobleme im Mobilfunkmarkt im Rahmen einer neuen Vergabeentscheidung angemessen berücksichtigt würden.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Reinhard Houben sagte: "Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Köln ist nach dem Mautdesaster die nächste schallende Ohrfeige für den ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer." Aber auch die Bundesnetzagentur habe sich offenkundig nicht klar genug gegen die massive politische Einflussnahme gewehrt. "Leidtragende der rechtswidrigen Entscheidung der Präsidentenkammer waren die Verbraucherinnen und Verbraucher, Profiteure die etablierten Mobilfunkanbieter." Die Bundesnetzagentur sei jetzt in der Pflicht, eine seriöse und gerichtsfeste Bescheidung vorzulegen.