Integrationsplätze in Kita dürfen nicht nur an "Gemeindekinder" vergeben werden

Eine Gemeinde darf die Vergabe von Integrationsplätzen in ihrer Kindertagesstätte nicht auf sogenannte Gemeindekinder beschränken. Dies hat das Verwaltungsgericht Hannover in einem Fall entschieden, in dem Zwillingsbrüder wegen Wegzugs aus dem Gemeindegebiet die Einrichtung wechseln sollten, obwohl ihnen dies aus eingliederungsfachlichen Gründen nicht zumutbar war. Die Brüder begehrten Eilrechtsschutz und bekamen Recht.

Kinder sollen Einrichtung wegen Wegzugs aus Gemeinde verlassen

Die beiden vierjährigen Kinder waren als Frühgeborene zur Welt gekommen und sowohl in motorisch-körperlicher als auch in geistig/seelischer Hinsicht erheblich entwicklungsverzögert. Sie erhielten seit 2018 von der Region Hannover als Sozialhilfeträger eingliederungshilferechtliche Frühförderung. Seit 2019 belegten sie dafür zwei Integrationsplätze in einer Kindertagesstätte ihrer früheren Wohnsitzgemeinde, die im gerichtlichen Verfahren beigeladen war. Zu Beginn des Jahres 2019 zog die Familie der Antragsteller in das Gebiet der Nachbargemeinde. Die Beigeladene stellte sich deshalb auf den Standpunkt, dass eine weitere Betreuung der Antragsteller in ihrer Kita nicht möglich sei. Nach ihrer Benutzungssatzung dürften Kita-Plätze in ihren Einrichtungen nur an Kinder mit Wohnsitz in ihrem Gemeindegebiet vergeben werden. Auf Antrag der Eltern erklärte sich die Beigeladene im Einvernehmen mit der neuen Wohnsitzgemeinde bereit, die Antragsteller bis zum Ablauf des laufenden Kita-Jahres (31.07.2020) auf den von ihnen belegten Plätzen weiter zu betreuen. Eine Weiterbetreuung in der Einrichtung auch in dem im August 2020 beginnenden neuen Kita-Jahr lehnte sie ab und verwies die Antragsteller auf zwei Integrationsplätze in einer Kita ihrer Wohnsitzgemeinde.

Eilantrag erfolgreich

Dem dagegen von den Antragstellern gestellten Eilrechtsschutzantrag hat das VG Hannover im Wesentlichen stattgegeben. Antragsgegnerin war insoweit die Region Hannover, die sowohl als örtlicher Jugendhilfeträger als auch als örtlicher Sozialhilfeträger für eine bedarfsgerechte Tagesbetreuung von noch nicht schulpflichtigen Kindern rechtlich verantwortlich ist. Materiell richtet sich der geltend gemachte Anspruch nach Ansicht des VG vorrangig nach § 79 SGB IX, da Maßnahmen der Frühförderung (das heißt Eingliederungsmaßnahmen für noch nicht eingeschulte entwicklungsbeeinträchtigte Kinder) unabhängig von der Art der bei den betroffenen Kindern vorhandenen Beeinträchtigungen nach Landesrecht vorrangig dem Sozialhilferecht zugewiesen seien.

Brüder auf personale und organisatorische Betreuungskontinuität angewiesen

Das VG ist aufgrund der im Verfahren vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen und Entwicklungsberichte der derzeitigen Betreuungseinrichtung zu der Überzeugung gelangt, dass den Antragstellern in ihrem aktuellen Entwicklungsstand ein Einrichtungswechsel aus eingliederungsfachlichen Gründen nicht zumutbar ist. Aus allen fachlichen Stellungnahmen ergebe sich ein besonderer Schwerpunkt der Förderung im sozio-emotionalen Bereich, da die Kinder eine ausgeprägte soziale Ängstlichkeit aufwiesen. Ein Einrichtungswechsel, mit dem einherginge, dass die Antragsteller gleichzeitig mit einer ihnen unbekannten Umgebung, unbekannten Abläufen und Ritualen, unbekannten Kindern und unbekannten erwachsenen Betreuungspersonen konfrontiert seien, würde sich demgegenüber mit großer Wahrscheinlichkeit geradezu kontraproduktiv auf die Erreichung der mit der Frühförderung verfolgten sozio-emotionalen Entwicklungsziele auswirken und bereits erreichte Entwicklungsfortschritte zunichtemachen. Deshalb seien die für die Antragsteller in einer Kita ihrer jetzigen Wohnsitzgemeinde vorgehaltenen Plätze in einer Integrationsgruppe nicht bedarfsgerecht. Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen dürften sie nicht auf diese verweisen.

Gemeindekindervorbehalt rechtswidrig

Der in der Benutzungssatzung der Beigeladenen geregelte "Gemeindekindervorbehalt" sei zumindest in Bezug auf die Belegung von Integrationsplätzen insoweit rechtswidrig, da er gegen das höherrangige Recht auf Zuweisung eines bedarfsgerechten Integrationsplatzes verstoße, der sich vorliegend wegen der Besonderheiten des Einzelfalls auf eine weitere Betreuung gerade in der bisher besuchten Einrichtung verdichtet habe. Derartige Plätze dürften von der Gemeinde als Einrichtungsträgerin zudem bereits dem Grunde nach nicht autonom, sondern nur im Benehmen mit der Region als örtlich zuständigem Sozialhilfeträger vergeben werden. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht werde insoweit von dem materiellen Leistungsrecht eingeschränkt. 

Weisungsrecht für die Region Hannover

Die den Gemeinden nach § 13 Abs. 1 AG KJHG für die Kindertagesbetreuung gesetzlich eröffnete Wahrnehmungsverantwortung erstrecke sich nicht auf die Vergabe von Integrationsplätzen. Denn sie beziehe sich nur auf die dahingehenden originär jugendhilferechtlichen Aufgaben. Da die Antragsgegnerin als örtlicher Sozialhilfeträger den Antragstellern gegenüber für die Gewährung der bedarfsgerechten Eingliederungshilfe rechtlich verantwortlich ist, steht ihr nach Rechtsauffassung des VG ein Weisungsrecht gegenüber der Beigeladenen zu, um den bestehenden Anspruch auf Verschaffung der bedarfsgerechten Plätze auch erfüllen zu können. Gegen die Entscheidung kann Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Niedersachsen in Lüneburg eingelegt werden.

VG Hannover - 3 B 2818/20

Redaktion beck-aktuell, 23. Juli 2020.