Das Gericht (Urteil vom 15.10.2025 – 15 A 5036/24) lehnte die Rückführung eines Sudanesen, der über Belarus zunächst nach Polen eingereist war, ab. Sein Asylantrag sei zu Unrecht als unzulässig abgelehnt worden. Nach Auffassung der 15. Kammer bestehen im polnischen Asylsystem derzeit "systemische Mängel" von erheblichem Gewicht, die eine Überstellung nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO ausschließen.
Aktuellen Berichten zufolge verweigere Polen seit Mitte September 2025 landesweit die Annahme von Asylanträgen von Personen, die irregulär über Belarus nach Polen eingereist seien. Dublin-Rückkehrern drohten damit faktisch Obdachlosigkeit (Verelendung), unzureichende Versorgung und die Gefahr, keinen Zugang zu einem effektiven Asylverfahren zu erhalten.
Der Mann war über mehrere Staaten über Polen nach Deutschland eingereist und hatte hier einen Asylantrag gestellt. Ein EURODAC-Treffer ergab, dass er bereits in Polen ein Asylverfahren begonnen hatte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den deutschen Antrag daraufhin als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Polen an, das für ihn zuständig sei.
Der Asylsuchende wandte ein, er habe in Polen Misshandlungen durch Grenzbeamte erlitten (sie hätten ihn geschlagen und Hunde auf ihn gehetzt, die ihn gebissen hätten), keine Anhörung zu seinen Fluchtgründen erhalten und sich dort in unsicheren und diskriminierenden Lebensverhältnissen befunden. Die polnischen Behörden hatten zwar der Wiederaufnahme zugestimmt, er machte aber geltend, eine Überstellung sei wegen systemischer Defizite des dortigen Asylverfahrens unzulässig. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
Systemische Mängel des polnischen Asylsystems
Nach eingehender Beweiswürdigung gelangte die Einzelrichterin zu der Überzeugung, dass Dublin-Rückkehrer in Polen derzeit kein funktionierendes Asylsystem vorfänden. Zwar gebe es grundsätzlich ein Verfahren zur Wiederaufnahme, tatsächlich seien jedoch die Zugangsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Rückkehrer liefen Gefahr, nach der Ankunft ohne Unterkunft und Versorgung dazustehen. Zudem würden sie häufig inhaftiert und ohne eine echte Prüfung ihrer Fluchtgründe abgeschoben. Damit knüpfte die Kammer an die vom EuGH im Urteil Jawo (C-163/17) entwickelten Maßstäbe an, wonach eine Überstellung unzulässig ist, wenn dem Betroffenen im zuständigen Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh drohe.
Die Kammer stützte sich hierbei auf aktuelle Erkenntnismittel verschiedener NGOs sowie der Europäischen Kommission, die auf massive Engpässe in Unterbringung, Betreuung und Rechtsberatung hinweisen. Diese Defizite führten dazu, dass das Asylverfahren in Polen derzeit nicht den unionsrechtlichen Mindeststandards entspreche. Die vorliegenden Misshandlungen und Diskriminierungserfahrungen des Klägers bestätigten die reale Gefahr, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein.
Auch eine Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate wegen angeblicher Flucht sei nicht gerechtfertigt gewesen. Das Gericht sah keine tragfähigen Anhaltspunkte für ein Untertauchen des Sudanesen. Der Aufenthalt in der Unterkunft sei plausibel belegt gewesen (er habe sich in einem anderen Zimmer aufgehalten); die Vollzugsmeldung der Behörde enthielt Widersprüche: das nachträgliche Entfernen der Uhrzeit des Überstellungszugriffs wertete die Einzelrichterin als behördlichen Versuch, sie über den Zeitraum des Überstellungsversuchs zu täuschen.


