Sachsens Corona-Impfverordnung lässt Ausnahmen bei Priorisierung zu

Da die sächsische Corona-Schutzverordnung die Reihenfolge der Corona-Schutzimpfung als "Soll"-Vorschrift vorgibt, kann in atypischen Ausnahmefällen eine andere Priorisierung geboten sein. Dies hat das Verwaltungsgericht Dresden zugunsten einer an einer selten Autoimmunkrankheit leidenden Frau entschieden, deren Infektionsrisiko aufgrund ihrer Erkrankung sowie des Kontakts mit ständig wechselndem Pflegepersonal und ihren drei Kindern erhöht war.

35-Jährige mit sehr schwacher Atemmuskulatur

Die 35-jährige Antragstellerin leidet an einer sehr seltenen Erkrankung, die mit einer ausgeprägten Schwäche der Atemmuskulatur und der Extremitäten einhergeht. Sie kann sich nur mittels eines elektrischen Rollstuhls fortbewegen. Eine Infektion mit dem Corona-Virus würde einem ärztlichen Attest zufolge zu einem schweren Verlauf mit Beatmungsnotwendigkeit führen. Wegen ihrer verschiedenen Autoimmunerkrankungen, die mit einer laufenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes einhergehen, erfolgt eine aggressive immunsuprimierende Therapie.

Impfzentrum lehnte Impfung ab

Die Antragstellerin lebt zu Hause und erhält Leistungen nach dem Pflegegrad 5 mit einer 24-Stunden-Intensivpflege, die von bis zu acht verschiedenen Pflegepersonen ausgeübt wird. Sie lebt von ihrem Ehemann, der einen Beruf mit vielfältigen Personenkontakten ausübt, getrennt. Die drei gemeinsamen Kinder werden von den Eltern im wochenweisen Wechsel betreut. Die Antragstellerin hat bei einer telefonischen Anfrage bei dem für sie zuständigen Impfzentrum ihre besondere persönliche Situation dargelegt und gebeten, sie zu impfen. Sie erhielt dort die Mitteilung, dass ihre Autoimmunerkrankungen lediglich eine Einstufung in den dritten Prioritätsgrad rechtfertigten und eine Impfung derzeit nicht möglich sei.

VG verpflichtet zu Änderung der Reihenfolge

Das VG Dresden hat den Freistaat Sachsen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, die Antragstellerin für eine Schutzimpfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 als Anspruchsberechtigte höchster Priorität zuzulassen und sie in diesem Rahmen bei der Impfreihenfolge zu berücksichtigen. Es hat die Frage offengelassen, ob die Corona-Impfverordnung eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Vornahme von Priorisierungen bei der Corona-Schutzimpfung ist. Für das Eilverfahren ist das VG von der Gültigkeit der Corona-Impfverordnung ausgegangen.

Angehörigkeit zu Gruppe mit drittgrößter Impfpriorität

Die Verordnung sehe angesichts des knappen Impfstoffs und des großen Bedarfs an Impfungen eine Reihenfolge der zu impfenden Personen (Priorisierung) vor. Die höchste Priorität hätten danach besonders gefährdete Personen. Dies seien nach den Regelungen der Verordnung Personen, die über 80 Jahre alt sind, oder in Pflegeeinrichtungen leben oder Personen, die in medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen mit einem sehr hohen Risiko in Bezug auf das Coronavirus arbeiten. Zu dieser Personengruppe oder zu der Personengruppe mit der zweithöchsten Impfpriorität gehöre die Antragstellerin nicht, vielmehr sei sie nach der Verordnung wegen ihrer Autoimmunerkrankungen der Personengruppe mit der drittgrößten Impfpriorität zuzuordnen.

"Soll"-Vorschrift erlaubt Abweichungen

Das VG hat aber angenommen, dass im Einzelfall der Antragstellerin eine höhere Priorisierung geboten sei, weil die Corona-Schutzverordnung die Impfreihenfolge als "Soll"-Vorschrift vorgebe, die ein Abweichen von der vorgegebenen Reihenfolge beim Vorliegen atypischer Ausnahmefälle gestatte. Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor. Bei der Beurteilung dürfe nicht allein die Autoimmunerkrankung der Antragstellerin in den Blick genommen werden, sondern ihre gesamte Lebenssituation. Diese sei dadurch gekennzeichnet, dass sie aufgrund des sie umgebenden Pflegepersonals sowie wegen ihrer Kinder vielfältige – auch mittelbare – Kontakte und damit ein manifestiertes erhöhtes Infektionsrisiko habe.

Dennoch kein Anspruch auf eine sofortige Impfung

Innerhalb der jeweiligen Personengruppen stehe dem Antragsgegner ein Ermessen zu, in welcher Reihenfolge er die Impfungen regele. Deshalb stehe der Antragstellerin auch kein Anspruch auf eine sofortige Impfung zu, die sie im Übrigen auch nicht beantragt hatte. Wenn allerdings bei Impfungen – wie in der Vergangenheit geschehen – Impfstoff "übrig" bleibe, müsse der Antragsgegner sicherstellen, dass mit diesem Impfstoff vorrangig Personen aus der höchsten Prioritätsstufe geimpft werden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Personen mit höchster Schutzberechtigung dann nicht geimpft werden, sondern solche mit einer nachrangigen Priorisierung. Gegen den Beschluss steht dem Freistaat Sachsen die Beschwerde an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zu.

VG Dresden, Beschluss vom 29.01.2021 - 6 L 42/21

Redaktion beck-aktuell, 1. Februar 2021.