VG Braunschweig: Beschränkte Prüfungskompetenz deutscher Gerichte bei in EU zugelassenen Pflanzenschutzmitteln

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) muss über die Anträge einer Herstellerin von Pflanzenschutzmitteln, in Deutschland zwei Pflanzenschutzmittel im Weg der gegenseitigen Anerkennung zuzulassen, neu entscheiden. Dies hat das Verwaltungsgericht Braunschweig mit rechtskräftigen Urteilen vom 30.11.2016 entschieden. Bei solchen Verfahren bestehe grundsätzlich eine Bindung an die Zulassungsentscheidung des Referenzmitgliedstaats, es sei denn, es dränge sich eine systematische Verletzung des Zulassungsrechts auf (Az.: 9 A 27/16, 9 A 28/16, BeckRS 2016, 112125 und BeckRS 2016, 110721).

Pflanzenschutzrechtliche Zulassungen im Weg gegenseitiger Anerkennung begehrt

Die Klägerin produziert Pflanzenschutzmittel und beantragte im Frühjahr/Sommer 2015 beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die Erteilung zweier pflanzenschutzrechtlicher Zulassungen im Weg der gegenseitigen Anerkennung. Für diese Präparate wurden der Klägerin bereits zuvor Zulassungen im Vereinigten Königreich erteilt. Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung ist ein gemeinschaftliches Zulassungsverfahren. So kann der Inhaber einer Zulassung zum Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels unter anderem dann eine Zulassung für dasselbe Pflanzenschutzmittel, für dieselben Verwendungen und unter vergleichbaren landwirtschaftlichen Bedingungen in einem anderen Mitgliedstaat beantragen, wenn die Zulassung von einem Mitgliedstaat erteilt wurde, der zur selben Zone gehört. Die Bundesrepublik Deutschland und das Vereinigte Königreich gehören derselben Zone an.

BVL lehnte Zulassung wegen Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften ab 

Da vom BVL zunächst keine Zulassungsentscheidungen getroffen wurden, erhob die Klägerin im März und April 2016 Untätigkeitsklagen. Im Lauf des gerichtlichen Verfahrens lehnte die Beklagte die Erteilung der pflanzenschutzrechtlichen Zulassungen schließlich unter Hinweis darauf ab, dass das Vereinigte Königreich als Referenzmitgliedstaat verschiedene rechtliche Vorgaben bei der dortigen Zulassung der Mittel nicht beachtet habe. So habe die Zulassungsbehörde unter anderem veraltete Unterlagen und Leitlinien zugrunde gelegt, Deutschland vor der Zulassung keine Kommentierungsmöglichkeit eingeräumt und keinen vollständigen Bewertungsbericht erstellt. Im Übrigen hätten die zu beteiligenden deutschen Behörden ihr Einvernehmen bzw. Benehmen verweigert. Die Klägerin habe zudem nur unvollständige Antragsunterlagen vorgelegt. Gegen diese Bescheide wandte sich die Klägerin während des weiteren Klageverfahrens.

VG: Bindung an Zulassungsentscheidung des Referenzmitgliedstaates

Das VG hat die Ablehnungsbescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über die Anträge auf Zulassung der Pflanzenschutzmittel unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Das VG ist der Ansicht, dass das BVL nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz bei pflanzenschutzrechtlichen Zulassungsverfahren der gegenseitigen Anerkennung im Hinblick auf die Zulassung im Referenzmitgliedstaat habe. Grundsätzlich sei der anerkennende Mitgliedstaat an die Zulassungsentscheidung des Referenzmitgliedstaates gebunden. Eine Ausnahme sei nur dann gegeben, wenn ein Mitgliedstaat angesichts spezifischer ökologischer oder landwirtschaftlicher Bedingungen berechtigten Grund zu der Annahme habe, dass das betreffende Produkt ein unannehmbares Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder für die Umwelt darstellt. 

Weitergehende Überprüfung nur bei sich aufdrängender systematischer Verletzung des Zulassungsrechts

Laut VG beruht das gemeinsame europäische System der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle beteiligten Staaten die rechtlichen Vorgaben beachten. Hieraus sei die Vermutung abzuleiten, dass die Bearbeitung von Zulassungsanträgen für Pflanzenschutzmittel in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den rechtlichen Anforderungen stehe. Erst wenn sich aufdränge, dass ein Referenzmitgliedstaat die im jeweiligen Zulassungsverfahren zu beachtenden Rechtsvorschriften systematisch verletze, bestehe im nationalen Anerkennungsverfahren Raum für eine weitergehende Überprüfung. Derartige systematische Mängel waren dem VG zufolge in den vorliegenden Fällen jedoch nicht gegeben.

Gericht konnte nicht selbst entscheiden

Eine Verpflichtung des BVL zur Erteilung der pflanzenschutzrechtlichen Zulassungen habe aber nicht ausgesprochen werden können, da zunächst den zu beteiligenden nationalen Behörden in Deutschland Gelegenheit zur Stellungnahme im Hinblick darauf gegeben werden muss, ob ein unannehmbares Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt besteht.

VG Braunschweig, Urteil vom 30.11.2016 - 9 A 27/16

Redaktion beck-aktuell, 2. März 2017.

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