Kein “Homeschooling“ allein wegen Corona-Risikos für Eltern

Schüler haben nicht allein schon deshalb einen Rechtsanspruch auf Befreiung vom Präsenzunterricht, weil deren Eltern einer Corona-Risikogruppe angehören. Für eine Befreiung sei vielmehr zusätzlich erforderlich, dass bereits eine Infektionsschutz-Maßnahme an der Schule ergriffen werden musste, entschied das Verwaltungsgericht Braunschweig am 08.10.2020 in einem Eilverfahren. Das sei hier nicht der Fall.

"Homeschooling" trotz Zugehörigkeit der Eltern zu Corona-Risikogruppe abgelehnt

Bei den Antragstellern handelt es sich um Geschwister, die die 12. und die 9. Klasse eines Braunschweiger Gymnasiums besuchen. Ihre Eltern hatten der Schule ärztliche Atteste vorgelegt, nach denen sie zu einer Coronavirus-Risikogruppe gehören. Den Antrag auf Befreiung vom Präsenzunterricht hatte die Schule unter Berufung auf eine Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums abgelehnt. Danach können Schüler, deren Eltern der Risikogruppe angehören, nur dann vom Unterricht befreit werden, wenn schon eine Infektionsschutz-Maßnahme an der Schule ergriffen werden musste, zum Beispiel wegen der Infektion eines anderen Schülers. Dies sei an der Schule aber noch nicht der Fall gewesen. Die Antragsteller ersuchten um Eilrechtsschutz.

VG: Ablehnung der Befreiung vom Präsenzunterricht derzeit rechtmäßig

Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag zurückgewiesen. Die auf die Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums gestützte Ablehnung der Befreiung vom Präsenzunterricht sei nicht zu beanstanden. Die sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebende staatliche Pflicht zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit sei nicht verletzt. Das Grundgesetz gebiete keinen vollkommenen staatlichen Schutz vor jeglichen Gesundheitsgefahren. Bei den Schutzmaßnahmen habe der Staat auch anderen grundrechtlich geschützten Freiheiten Rechnung zu tragen. Die Schutzpflicht sei nur dann verletzt, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben. Dies sei derzeit an dem Gymnasium nicht der Fall.

Schule hat vorliegend ausreichende Schutzmaßnahmen ergriffen

Aufgrund der Corona-Verordnung und des Niedersächsischen Hygieneplans für Schulen habe die Schule schon eine Reihe von Schutzmaßnahmen getroffen. Dazu gehörten unter anderem die Anordnung, grundsätzlich einen Mund-Nase-Schutz auf dem gesamten Schulgelände außerhalb des Unterrichts zu tragen sowie das "Prinzip der offenen Türen", um das mit dem Berühren von Türen oder Türklinken verbundene Risiko zu verringern. Diese Maßnahmen seien angesichts der im Entscheidungszeitpunkt im Vergleich zu anderen Regionen noch moderaten Infektionszahlen für die Stadt Braunschweig auch nicht völlig unzulänglich.

Bildungsanspruch der Schüler besonders wichtig

Bei den Schutzmaßnahmen müssten die Schulen auch den Bildungsauftrag des Staates und den Bildungsanspruch der Schüler berücksichtigen. Die Schulbesuchspflicht sei in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Nur sie gewährleiste ausreichende Bildungsgerechtigkeit und eine umfassende Abdeckung der Lehrpläne über die reine Wissensvermittlung hinaus. Im Hinblick darauf differenzierten die Schulen derzeit in zulässiger Weise zwischen einer bloß abstrakten, allgemeinen Gefährdungslage sowie der konkreten Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus im Fall einer bereits nachgewiesenen Neuinfektion. Das sich laufend verändernde Infektionsgeschehen verlange allerdings, die Risikobeurteilung immer wieder zu überprüfen.

Homeschooling-Anspruch für zur Risikogruppe gehörende Schüler gerechtfertigt

Die Schule verstoße derzeit auch nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Artikel 3 Abs. 1 GG, indem sie Schülern, die selbst zur Risikogruppe gehören, "Homeschooling" genehmige. Die unterschiedliche Behandlung sei gerechtfertigt, weil es wissenschaftlich basierte, deutliche Hinweise darauf gebe, dass vulnerable Schüler im Vergleich zu vulnerablen Angehörigen im Zusammenhang mit dem Schulbesuch einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind.

VG Braunschweig, Entscheidung vom 08.10.2020 - 6 B 187/20

Redaktion beck-aktuell, 13. Oktober 2020.