AfD wehrt sich gegen Bezeichnung als "Prüffall" des Verfassungsschutzes

Das Bundesinnenministerium muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin den Tweet eines seiner Pressesprecher löschen, weil darin die AfD sinngemäß als Prüffall des Verfassungsschutzes dargestellt wurde. Dies stelle einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Parteienfreiheit dar, begründete das Gericht seine Entscheidung. In einem ähnlichen Fall entschied auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf.

AfD in Tweet als Verfassungsschutzprüffall dargestellt

Mitte Januar 2021 berichtete die Tagespresse darüber, dass der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz kurz davorstehe, die Antragstellerin zum Verdachtsfall zu erklären. Einer der Pressesprecher des Innenministeriums äußerte sich auf seinem Account des Kurznachrichtendienstes Twitter am 28. 01.2021 wie folgt: "BM #Seehofer zum Stand des #BfV-Gutachtens zur #AfD: Meine Mitarbeiter prüfen das Gutachten gemeinsam mit dem @BfV Bund in juristischer Hinsicht. Da ist besondere Sorgfalt angesagt. Es gibt keine politischen Vorgaben. Ich möchte aber in überschaubarer Zeit Klarheit haben."

Partei verlangte sofortige Löschung

Nachdem die Antragstellerin die Antragsgegnerin außergerichtlich vergeblich dazu aufgefordert hatte, die Äußerung zu löschen, hat sie um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht. Das Verwaltungsgericht hat dem Eilantrag teilweise stattgegeben. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Löschung des Tweets. Die Antragsgegnerin habe durch die beanstandete Äußerung in die nach Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Parteienfreiheit eingegriffen. Bei objektivem Verständnis habe das Ministerium geäußert, dass es sich bei der Antragstellerin um einen Prüffall des Verfassungsschutzes handele. Unerheblich sei, dass das Ergebnis der Prüfung tatsächlich noch gar nicht feststehe. Hierdurch werde die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb erheblich geschmälert, denn schon die Einstufung der Antragstellerin als Prüffall führe nach einer von ihr selbst durchgeführten Umfrage dazu, dass die Bereitschaft, sie zu wählen, um 15% sinke.

Eingriff in Parteienfreiheit ist nicht gerechtfertigt

Der Eingriff sei nicht gerechtfertigt, weil es hierfür weder eine Rechtsgrundlage im BVerfSchG gebe noch die Voraussetzungen vorlägen, unter denen staatliche Stellen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit betreiben dürften. Denn dem Staat sei es versagt, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihm zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen. Das weitere Begehren der Antragstellerin, der Antragsgegnerin einstweilen zu untersagen, auch künftig zu äußern, sie werde als Prüffall behandelt, hat das Gericht mangels Wiederholungsgefahr abgelehnt.

VG Düsseldorf mit ähnlicher Entscheidung

Das VG Düsseldorf hat die öffentlichen Äußerungen des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen sowie des Leiters des Landesverfassungsschutzes im Januar bzw. Juli 2019, dass der Verfassungsschutz den Landesverband der AfD als Prüffall bearbeite, ebenfalls als rechtswidrig eingestuft. Auch hier entschieden die Richter, mit den Äußerungen hätten die beiden Hoheitsträger in das Recht der AfD, als politische Partei gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen (Art. 21 Abs. 1 GG), eingegriffen. Für diesen Eingriff habe es einer gesetzlichen Grundlage bedurft, an der es fehle. Insbesondere könne das Recht, eine politische Partei in der Öffentlichkeit als "Prüffall" zu bezeichnen, nicht aus dem Verfassungsschutzgesetz NRW hergeleitet werden. Während über einen "Verdachtsfall" – der hier nicht in Rede stehe – unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen öffentlich berichtet werden dürfe, enthalte das Gesetz keine Befugnis, bereits über das Stadium des "Prüffalls" zu informieren. Die Prüfung diene erst der Klärung der Frage, ob sich aus allgemein zugänglichem Material ausreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ergäben, die zur Einstufung als Verdachtsfall führten.

Prüfung an sich von Urteil nicht betroffen

Der presserechtliche Auskunftsanspruch berechtige angesichts des entgegenstehenden Parteiengrundrechts ebenso wenig zu den streitbefangenen öffentlichen Erklärungen. Das Gericht hat mit dem Urteil lediglich die Frage der Rechtsgrundlage für die Bekanntgabe eines "Prüffalls" geklärt. Damit sei keine rechtliche Bewertung verbunden, ob der NRW-Landesverband der AfD als Prüffall bearbeitet werden darf oder nicht.

VG Düsseldorf, Urteil vom 24.02.2021 - 20 K 5100/19

Redaktion beck-aktuell, 25. Februar 2021.