Corona: Pauschales berlinweites Wechselmodell an Grundschulen rechtswidrig

Das pauschale berlinweite Wechselmodell an Grundschulen ist rechtswidrig. Der Verordnungsgeber habe bei dieser Beschränkung des Präsenzunterrichts an Grundschulen seinen Einschätzungsspielraum überschritten, so das Verwaltungsgericht Berlin. Es gab den Eilanträgen zweier Schüler einer Grundschule auf Wiederaufnahme der Präsenzbeschulung im Regelbetrieb in ihrem Bezirk statt. Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) kündigte in Reaktion auf den Beschluss eine Rückkehr zur Präsenzbeschulung noch vor den Sommerferien an.

Wechselunterricht in halbierter Klassenstärke

Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmeverordnung für Berlin darf an Schulen Lehrbetrieb in Präsenz grundsätzlich nicht stattfinden. Die Schul-Hygiene-Covid-19-Verordnung lässt hiervon Abweichungen für die an das Infektionsgeschehen angepasste Wiederaufnahme des Lehrbetriebs zu und sieht dabei Beschränkungen des Präsenzunterrichts vor. Im Fall der beiden Schüler führt die Schule derzeit einen Wechselunterricht in halbierter Klassenstärke durch.

Schüler sehen sich in Grundrechten verletzt

Gegen dieses Beschulungsmodell wenden sich die beiden Schüler. Sie sehen sich in ihren Grundrechten verletzt und begehren eine Vollbeschulung. Der Antragsgegner verteidigt die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung unter anderem mit den höheren Inzidenz-Werten in der Gruppe der Schüler.

Weniger Spielraum bei Wahl der Schutzmaßnahmen

Das VG Berlin gab den Eilanträgen der Schüler statt. Diese könnten in ihren Bezirken eine Vollbeschulung unter Beachtung der im Übrigen geltenden infektionsschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen beanspruchen. Zwar habe der Antragsgegner im Regelfall die Beschulung im Präsenzbetrieb vorgesehen, habe aber dem Anspruch auf uneingeschränkte Beschulung bislang mit Erfolg die Regelungen zum Infektionsschutz entgegenhalten, so das VG. Allerdings sei der Spielraum des Gesetz- beziehungsweise Verordnungsgebers bei der Wahl der notwendigen Schutzmaßnahmen im Verlauf der Pandemie – etwa wegen besonders schwerer Grundrechtsbelastungen und wegen zunehmend greifender alternativer Maßnahmen wie der fortschreitenden Impfung der Bevölkerung und der geschaffenen Testmöglichkeiten – geringer geworden, so das Gericht.

Inzidenzwert entscheidend für Unterrichtsform

Das VG verweist in diesem Zusammenhang auf § 28b Abs. 3 IfSG. Danach dürfe Präsenzunterricht nur in Form von Wechselunterricht angeboten werden, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Schwellenwert von 100 überschreitet. Überschreitet die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 165, sei Präsenzunterricht untersagt. Der Bundesgesetzgeber habe mit der Festlegung der Inzidenzwerte den Maßstab und die Schwellenwerte bestimmt, anhand derer eine infektionsschutzrechtliche Beschränkung des Unterrichtsbetriebs erforderlich erscheine, so das VG.

Erforderlichkeit des Wechselmodells nicht dargetan

In Anwendung dieser Maßstäbe habe der Verordnungsgeber seinen Einschätzungsspielraum bei der berlinweiten pauschalierenden Beschränkung des Präsenzunterrichts an Grundschulen überschritten, so das VG Berlin. Die Beschränkung des Unterrichts auf das Wechselmodell diene zwar einem legitimen Zweck (Eindämmung des Infektionsgeschehens). Der Antragsgegner habe jedoch angesichts der rückläufigen Infektionszahlen nicht hinreichend dargetan, dass die Beschränkung des Schulunterrichts zur Erreichung dieses Zweckes erforderlich sei.

Höhere Inzidenz-Werte rechtfertigen Wechselmodell nicht

Die höheren Inzidenz-Werte in der Gruppe der Schüler rechtfertigten die pauschale Anwendung des Wechselmodells nicht, heißt es im Beschluss weiter. Es sei zudem nicht dargetan, weshalb die bereits vorhandenen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen nicht ausreichten, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Das VG hat den Antragsgegner zur Sicherung der Rechte der beiden Schüler daher vorläufig verpflichtet, diese gemäß den Bestimmungen zum Regelbetrieb zu beschulen.

Bildungssenatorin will Präsenzunterricht wieder zulassen

Nach dem Gerichtsbeschluss ließ Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur verlauten, dass noch vor den Berliner Sommerferien die Schulen wieder zum Regelbetrieb zurückkehren werden. Wichtig sei ihr, dass die Schulen genug Vorbereitungszeit erhielten, um sich darauf einzustellen. Scheeres kündigte an, Details in der heutigen Senatssitzung abstimmen zu wollen.

VG Berlin, Beschluss vom 31.05.2021 - 3 L 180/21

Redaktion beck-aktuell, 1. Juni 2021 (ergänzt durch Material der dpa).