VG Berlin: Abiturprüfungen müssen nicht wegen coronabedingt erschwerter Vorbereitung verschoben werden

Mit den Corona-Einschränkungen verbundene beengte häusliche Verhältnisse, die eine Prüfungsvorbereitung erschweren, sind kein Grund, die in Berlin im April anstehenden Abiturprüfungen zu verschieben. Dies hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden und einen Eilantrag einer Abiturientin mit Beschluss vom 20.04.2020 abgelehnt. Die Chancengleichheit gebiete keine Verschiebung der Prüfungen, so das VG (Az.: VG 3 L 155.20).

Abiturprüfungen in Berlin starten trotz Corona-Pandemie

Die Antragstellerin ist Schülerin und Abiturientin eines Berliner Gymnasiums. Nach dem Willen des Berliner Senats beginnen dort – wie an allen Berliner Schulen – ab dem 20.04.2020 die schriftlichen Abiturprüfungen. Die erste schriftliche Prüfung der Antragstellerin ist für den 24.04.2020 angesetzt. Sie lebt mit ihren Eltern und einem Bruder in einer Zweieinhalb-Zimmerwohnung, wo sich alle Familienmitglieder seit dem 21.03.2020 überwiegend aufhalten.

Antragstellerin begehrte wegen erschwerter Abi-Vorbereitung Verschiebung der Prüfung

Die Antragstellerin begehrte per Eilantrag die Verschiebung der Prüfung und berief sich dabei auf schwierige häusliche Bedingungen. Ihre Konzentrationsfähigkeit sei durch die von ihren Familienangehörigen ausgehende Geräuschbelastung erheblich beeinträchtigt, sie habe sich wegen der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen nicht mit Mitschülern austauschen können, sie verfüge über keinen eigenen PC und sie habe sich schließlich nicht – wie ursprünglich geplant – in einer Bibliothek auf die Prüfungen vorbereiten können. Unter diesen Umständen habe sie bei ihrer Abiturprüfung gegenüber anderen Prüflingen keine chancengleichen Voraussetzungen.

VG: Kein Anspruch auf Verschiebung aus Berliner Schulgesetz

Das VG hat den Eilantrag zurückgewiesen. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf eine Verschiebung der Prüfungstermine. Sie könne sich für ihr Begehren nicht auf das Berliner Schulgesetz berufen, wonach jede Schule die Verantwortung dafür trage, dass die Schüler, unabhängig von ihren Lernausgangslagen, an ihrer Schule zu ihrem bestmöglichen Schulabschluss geführt werden. Denn hieraus folgten keine individualrechtlichen Ansprüche.

Kein Anspruch auf Nachholung der schriftlichen Prüfung

Die Antragstellerin habe auch nicht glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf die Nachholung eines Prüfungsteils zu einem späteren Zeitpunkt auf der Grundlage der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe zu haben. Denn dies setze voraus, dass ein Prüfling aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an der gesamten Prüfung oder an Teilen der schriftlichen oder mündlichen Prüfung nicht teilnehmen könne. Dies sei hier nicht der Fall.

"Pandemiebedingte Stresssituation" kein ausreichender Nachholungsgrund

Die Antragstellerin könne nicht aus krankheitsbedingten Gründen oder sonstigen persönlichen Umständen nicht an der Prüfung teilnehmen. Der bloße Verweis auf die allgemeine "pandemiebedingte Stresssituation" reiche hierfür nicht aus. Stress und Ängste im Zusammenhang mit einer Prüfung gehörten in den Risikobereich des Prüflings, es sei denn, dass sie erkennbar den Grad einer – durch ein ärztliches Attest nachzuweisenden – psychischen Erkrankung erreichten.

Chancengleichheit gebietet keine Verschiebung

Laut VG gebietet auch das verfassungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit nichts anderes. Auch wenn die Vorbereitung auf die Abiturprüfungen im Jahr 2020 wegen der Schulschließungen ab dem 17.03.2020 und aufgrund der auch in den Osterferien geltenden Kontaktbeschränkungen unter erschwerten Bedingungen stattgefunden habe, stelle sich die Situation der Antragstellerin nicht als besonderer Ausnahmefall dar. Vielmehr stellten die strengen Regelungen der Länder zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie viele Familien vor schwierige Herausforderungen. Allen Schülern seien aber seit dem 17.03.2020 Vorbereitungstreffen mit Mitschülern, die Wahrnehmung von Nachhilfestunden und das Lernen außerhalb der häuslichen Umgebung nicht möglich gewesen.

Gewährleistung identischer Bedingungen wie auch in anderen Lebensbereichen nicht möglich

Wie auch in anderen Lebensbereichen könnten im Rahmen der Prüfungsvorbereitung unter Geltung der Einschränkungen wegen des Coronavirus jedoch keine identischen Bedingungen gewährleistet werden. Hierzu gehöre auch die Tatsache, dass Schüler, die beispielsweise über ein eigenes Zimmer oder einen eigenen Computer verfügten, bessere Bedingungen zur Prüfungsvorbereitung vorfänden als andere.

Durchführung der Abiturprüfungen dient Chancengleichheit gegenüber anderen Abiturjahrgängen

Die Durchführung der Abiturprüfungen 2020 im Land Berlin insgesamt sei schließlich auch dadurch sachlich gerechtfertigt, dass sich die Länder in der Ständigen Konferenz der Kultusminister darauf bundeseinheitlich geeinigt hätten. Dies diene damit letztlich gerade der Wahrung der Chancengleichheit des diesjährigen Abiturjahrgangs gegenüber anderen Abiturjahrgängen.

VG Berlin, Beschluss vom 20.04.2020 - 3 L 155.20

Redaktion beck-aktuell, 21. April 2020.