Senegal: Ein sicherer Herkunftsstaat?

Kann ein Land ein sicherer Herkunftsstaat sein, auch wenn dort Frauen und Mädchen Opfer von Genitalverstümmelung und sexuelle Minderheiten diskriminiert werden? Das VG Berlin will das vom EuGH klären lassen. 

Im Asylklageverfahren eines 26-jährigen Senegalesen hat das VG dem EuGH mehrere Fragen vorgelegt. Es will wissen, ob für die Bestimmung eines Staats zum sicheren Herkunftsstaat dort landesweit Sicherheit für alle Bevölkerungsgruppen bestehen muss; auch soll der EuGH klären, was eine solche Bevölkerungsgruppe ist bzw. unter welchen Voraussetzungen sie als nicht sicher anzusehen ist (Urteil vom 29.11.2024  VG 31 K 671/23 A).

Den Senegal stuft Deutschland, anders als andere EU-Mitgliedstaaten wie zum Beispiel Schweden, Belgien oder Kroatien, aktuell als sicheres Herkunftsland ein. Gemäß Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG können Staaten zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt werden, wenn aufgrund von Rechtslage, Rechtsanwendung und politischen Verhältnissen gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Dann wird vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange der Antragende nicht Tatsachen vorträgt, die das Gegenteil beweisen, Art. 16a Abs. 3 S. 2 GG.

Gefahren für junge Frauen und sexuelle Minderheiten

Die 31. Kammer des VG Berlin sieht im Senegal aber Frauen und Mädchen bedroht, ebenso Kinder und LGBTQI+-Personen. Nach Angaben des Gerichts sind etwa 25% der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren Opfer von Genitalverstümmelungen. Dabei sei das von Region zu Region unterschiedlich – so gebe es etwa Regionen, in denen 90% der jungen Frauen betroffen sind. Zwangsheirat, besonders Minderjähriger, sei zwar verboten, aber auf dem Land dennoch verbreitet. Auch sollen bis zu 100.000 Kinder bis zum 15. Lebensjahr auf Koranschulen geschickt und dort zum Betteln auf der Straße gezwungen werden. Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen seien im Senegal strafbar und würden mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe geahndet. Religionsgemeinschaften zeigten keine Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten, in der Gesellschaft würden LGBTQI+-Personen diskriminiert.

Der EuGH hatte zuletzt entschieden, dass ein Drittstaat nicht als sicher eingestuft werden kann, wenn Teile des Hoheitsgebietes nicht sicher sind (Urteil vom 04.10.2024 C-406/22). Ob ein Drittstaat auch dann nicht als sicher eingestuft werden darf, wenn bestimmte Personengruppen nicht sicher sind, ist laut VG Berlin noch offen. Die Niederlande stufen den Senegal nach Angaben des Gerichts zwar als sicheren Herkunftsstaat ein, machen aber gruppenbezogene Ausnahmen unter anderem für LGBTQI+-Personen. 

VG Berlin, Beschluss vom 29.11.2024 - VG 31 K 671/23 A

Redaktion beck-aktuell, zav, 11. Dezember 2024.