Das VG Berlin hat die Anwendung von Schmerzgriffen und Nervendrucktechniken durch die Polizei bei der Räumung einer Klimaprotestaktion als rechtswidrig eingestuft. Die Richterinnen und Richter waren der Meinung, dass der Einsatz dieser Techniken unverhältnismäßig war, da die Demonstrantinnen und Demonstranten auch ohne Zufügung von Schmerzen hätten entfernt werden können (Urteil vom 20.03.2025 - 1 K 281/23).
Im April 2023 beteiligte sich ein Anhänger der Protestbewegung "Letzte Generation" an einer Sitzblockade auf der Straße des 17. Juni in Berlin. Nachdem die Versammlung aufgelöst worden war, forderte ein Polizeibeamter den Demonstranten auf, die Fahrbahn zu verlassen. Der Beamte drohte mit der Anwendung von unmittelbarem Zwang, der mit Schmerzen verbunden sei, falls der Demonstrant der Aufforderung nicht nachkomme. Als er sich weigerte und äußerte, dass er einfach sitzen gelassen werden solle, entfernten ihn die Polizeikräfte von der Fahrbahn und setzten dabei Schmerzgriffe und Nervendrucktechniken ein. Der Demonstrant schrie lautstark vor Schmerzen. Später klagte er gegen die Maßnahme und verlangte die Feststellung, dass das polizeiliche Handeln rechtswidrig gewesen sei.
"Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel"
Das VG Berlin gab der Klage statt und erklärte den Einsatz der Schmerzgriffe und Nervendrucktechniken für rechtswidrig. Die Kammer erläuterte, es handele sich um Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung, die zwar grundsätzlich auch mit unmittelbarem Zwang umgesetzt werden könnten - und das auch dann, wenn hierbei Schmerzen nicht zu vermeiden seien. Allerdings sei die Zwangsanwendung im konkreten Fall unverhältnismäßig gewesen. Die Polizei hätte den Demonstranten schließlich auch ohne Zufügung von Schmerzen von der Fahrbahn tragen können, meinte die Kammer. Zum fraglichen Zeitpunkt hätten sich nur noch wenige Personen auf der Fahrbahn befunden, und es hätten ausreichend Einsatzkräfte zur Verfügung gestanden. Es habe auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Mann sich selbst gewaltsam gegen das Wegtragen wehren würde. Daher sei der Einsatz von Schmerzgriffen und Nervendrucktechniken nicht erforderlich gewesen.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die den Aktivisten im Verfahren unterstützt hatte, bezeichnete die Entscheidung als "fundamentale(n) Erfolg für die Versammlungsfreiheit". Es sei das erste Mal, dass ein Gericht in Deutschland dem Einsatz von Schmerzgriffen gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten Grenzen aufzeige. "Diese Entscheidung ist ein wichtiges Signal für die Versammlungsfreiheit und stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat" wird Joschka Selinger, Rechtsanwalt der GFF, in einer Pressemitteilung der Organisation zitiert. "Jetzt steht fest: Schmerzgriffe sind tabu, wenn Personen auch einfach weggetragen werden können. Das Gericht holt die Berliner Polizei mit dieser Entscheidung gegen unnötige Schmerzgriffe auf den Boden des Rechtsstaats und der Grundrechte zurück“. In jüngster Zeit habe die Polizei vermehrt Schmerzgriffe eingesetzt, um friedliche Protestaktionen zu beenden.
Der Anwalt des klagenden Demonstranten wird in der GFF-Mitteilung wie folgt zitiert: "Die Entscheidung betont ein Grundprinzip des freiheitlichen Rechtsstaats: Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Für vergleichbare Fälle – und davon gibt es viele – sind der Anwendung von Gewalt damit Grenzen gesetzt, ohne dass die Effektivität polizeilicher Einsätze leiden muss."