Garzweiler II: Braunkohleabbau geht vor

Gegen die energiepolitische Entscheidung des Bundes und der Länder, trotz der Umweltschädlichkeit des Braunkohleabbaus an der Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle festzuhalten, ist kein Ankommen. Dies bekamen der Besitzer eines Hofes und zwei Mieter zu spüren, die sich im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau Garzweiler II dagegen zur Wehr gesetzt hatten, dass die RWE Power AG vorzeitig in den Besitz der Grundstücke eingewiesen worden war. Das Verwaltungsgericht Aachen lehnte ihre Eilanträge ab.

Grundabtretungsbeschluss soll Eigentumsübergang auf RWE vorbereiten

Konkret hatten sich der Besitzer eines Hofes in Lützerath sowie zwei Mieter von Räumlichkeiten auf den Hofgrundstücken gegen Beschlüsse der Bezirksregierung Arnsberg gewandt, mit denen die RWE Power AG als Betreiberin des Tagebaus Garzweiler II zum 01.11.2021 vorzeitig in den Besitz dieser Grundstücke eingewiesen worden ist. Hinsichtlich der Grundstücke, die am Rand der derzeitigen Abbruchkante des Tagebaus in Lützerath gelegen sind, war zuvor am 17.12.2020 ein Grundabtretungsbeschluss ergangen, der im Enteignungsverfahren den – aufgrund mehrerer Klagen mit aufschiebender Wirkung noch nicht erfolgten – Eigentumsübergang auf die Betreiberin vorbereiten soll. Weil die Betreiberin mit vorbereitenden Arbeiten für die Abbaggerung der Grundstücke jedoch schon zum 01.11.2021 beginnen will, bedarf sie für den erforderlichen Zugriff auf die Grundstücke vorzeitiger Besitzeinweisungen. Diese sind gegenüber den Antragstellern am 07.05.2021 beziehungsweise am 25.06.2021 erfolgt und von diesen angegriffen worden. Die auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichteten Eilanträge hat das Gericht nun abgelehnt und die Besitzeinweisungsbeschlüsse als voraussichtlich rechtmäßig bewertet.

Bergbauliche Inanspruchnahme der Grundstücke entspricht Plänen des Landes

Zur Begründung weist das VG darauf hin, dass der Abbau der Braunkohle unter den Hofgrundstücken und die hierfür notwendige bergbauliche Inanspruchnahme desselben den landesrechtlichen Planungsentscheidungen entspreche. Die Leitentscheidung der Landesregierung aus dem Jahr 2021 sehe weiterhin eine bergbauliche Inanspruchnahme der Grundstücke für den Tagebau Garzweiler II vor. Auch die bundesgesetzlichen Regelungen zum Kohleausstieg gingen von einem energiewirtschaftlichen Bedarf des Rohstoffs Braunkohle mindestens bis zum Jahr 2035 aus. Es sei zuallererst eine energiepolitische Entscheidung des Bundes und der Länder, mit welchen Energieträgern und in welcher Kombination der verfügbaren Energieträger sie eine zuverlässige Energieversorgung sicherstellen wollten. Diesbezüglich stehe ihnen ein erheblicher Einschätzungsspielraum zu, der gerichtlich nur darauf überprüft werden könne, ob die getroffene Entscheidung offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfassungsrechtlichen Wertungen sei, wie sie insbesondere in den Grundrechten – hier vor allem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG – oder den Staatszielbestimmungen – hier insbesondere Art. 20a GG – zum Ausdruck kämen.

Klimaschutzgebot zwingt nicht zu früherem Kohleausstieg

Eine Unvereinbarkeit mit Verfassungsrecht sei trotz der unbestreitbaren Klima- und Umweltschädlichkeit des Braunkohleabbaus beziehungsweise der Braunkohleverstromung sowie des Klimawandels mit seinen weitreichenden Folgen auch für Deutschland nicht festzustellen. Insbesondere sei zum heutigen Zeitpunkt noch keine Verdichtung des Klimaschutzgebots aus Art. 20a GG hin zu einem verfassungsrechtlich zwingenden Gebot zum sofortigen oder gegenüber den bisherigen Planungen frühzeitigen Kohleausstieg anzunehmen, welches die gesetzgeberisch festgelegte Gemeinwohldienlichkeit der Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle als offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfassungsrechtlichen Wertungen erscheinen ließe. Ein solcher Ansatz liefe auf eine angesichts der (noch) bestehenden Bandbreite verfassungskonformer Handlungsoptionen zum Erreichen der Pariser Klimaziele zumindest derzeit noch nicht zu rechtfertigende verfassungsrechtliche Determinierung eines isolierten Klimaschutzinstruments hinaus.

Tagebau Garzweiler II fördert Gemeinwohlziel der Energieversorgung

Der Tagebau Garzweiler II sei weiterhin im geplanten Umfang für die Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle erforderlich. Für die Erforderlichkeit genüge, dass das Vorhaben in der Lage sei, – wie hier – einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels zu leisten. Nicht erforderlich sei, dass ohne das Vorhaben die Energieversorgung (unmittelbar) gefährdet wäre. Die Grundstücke der Antragsteller seien ihrerseits zudem für eine technisch und wirtschaftlich sachgemäße Betriebsführung des Tagebaus Garzweiler II erforderlich. Laut VG Aachen besteht insbesondere keine "Umfahrungsmöglichkeit". Im Rahmen der Gesamtabwägung habe der Antragsgegner auch in ausreichendem Umfang die besondere Schwere des Eingriffs unter anderem hinsichtlich des Eigentumsentzugs an bewohnten Immobilien sowie der Umsiedlungen berücksichtigt. Dass im Ergebnis dennoch ein Überwiegen des Gemeinwohlziels einer Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler II zur Sicherung der Energieversorgung festgestellt werde, sei vor dem Hintergrund der energiepolitischen Grundentscheidungen gerichtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsteller können gegen die ihnen heute zugestellten Beschlüsse innerhalb von zwei Wochen Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.

Weitere Verfahren rund um Braunkohletagebau Garzweiler II anhängig

Abschließend weist das VG Aachen darauf hin, dass bei ihm gegen verschiedene behördliche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau Garzweiler II weitere Klageverfahren anhängig sind. In zwei Verfahren werde der am 20.12.2019 zugelassene und sofort vollziehbare Hauptbetriebsplan für den Zeitraum 01.01.2020 bis zum 31.12.2022 (Hauptbetriebsplan 2020 bis 2022) angegriffen, der unter anderem eine bergbauliche Inanspruchnahme der Grundstücke in Form vorbereitender Maßnahmen im vierten Quartal 2021 vorsieht. Vier Klageverfahren beträfen den Grundabtretungsbeschluss vom 17.12.2020 und in drei weiteren Klageverfahren würden Beschlüsse über die vorzeitige Besitzeinweisung im Hauptsacheverfahren angefochten. Wann in diesen Verfahren entschieden beziehungsweise verhandelt werden wird, ist laut VG noch offen.

VG Aachen - 6 L 418/21

Redaktion beck-aktuell, 7. Oktober 2021.