Neue Rechtslage ab 2017 führte zu Verfahren
Die niederösterreichische Mindestsicherung beschäftigte den VfGH auf Grund von mehr als 160 Anträgen des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich. Dahinter stehen jeweils Beschwerden von Personen, die nach der seit 01.01.2017 geltenden Rechtslage eine geringere Mindestsicherung zugestanden bekommen haben.
Kein Höchstsatz für Haushaltsgemeinschaften
Zur Frage der Deckelung verweist der Gerichtshof auf seine bisherige Rechtsprechung: "Auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person bei zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft abnehmen mögen, so ist doch immer noch je weitere Person ein Aufwand in einiger Höhe erforderlich." Es gebe also keinen sachlichen Grund, so die Richter, richtsatzmäßige Geldleistungen für eine Haushaltsgemeinschaft ab einer bestimmten Anzahl von Haushaltsangehörigen abrupt zu kürzen.
System richtet sich nach Bedarf einzelner Personen
Der Gerichtshof sah sich nicht veranlasst, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Das System der niederösterreichischen Mindestsicherung stelle grundsätzlich auf den konkreten Bedarf der betroffenen Personen ab. Die Deckelung hingegen begrenze den Anspruch "in Abkehr" von diesem System unabhängig von der Zahl der Personen mit einem fixen Betrag. Auch wenn die 1.500 Euro, die den Maximalanspruch darstellen, für bestimmte Haushaltskonstellationen ausreichend sein könnten, verhindere die Regelung eine einzelfallbezogene und damit sachliche Bedarfsprüfung.
Auch Wartefrist umstritten
Neben der Deckelung betrafen die Anträge des Landesverwaltungsgerichts auch die Wartefrist (§ 11a NÖ MSG). Wer sich nicht mindestens fünf der vergangenen sechs Jahre in Österreich aufgehalten hat, kann unabhängig von der Staatsbürgerschaft statt der Mindestsicherung nur eine geringere Leistung gemäß den "Mindeststandards – Integration" beziehen. Ausnahmen gelten für in Österreich geborene Kinder von voll Anspruchsberechtigten und für Personen, die Österreich für Ausbildungszwecke oder aus beruflichen Gründen verlassen haben. Die niederösterreichische Landesregierung habe die Wartefrist mit dem Erfordernis der Integration sowie der Setzung eines Anreizes zur Arbeitsaufnahme begründet.
VfGH: Regelung zu Wartefrist führt zu Ungleichbehandlung
Dem hält der VfGH entgegen, dass die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft eine vorhandene Integration bereits voraussetze. Die Differenzierung nach der Aufenthaltsdauer könne auch nicht mit einem Anreiz zur Arbeitsaufnahme begründet werden, denn es sei nicht erkennbar, weshalb österreichische Staatsbürger, die innerhalb der letzten sechs Jahre weniger als fünf Jahre in Österreich aufhältig waren, einen stärkeren Arbeitsanreiz benötigten, zumal der bloße Aufenthalt im In- oder Ausland keinerlei Rückschluss auf die Arbeitswilligkeit der Person zulasse. Diese Regelung führe daher zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung österreichischer Staatsbürger untereinander je nach Aufenthaltsdauer in Österreich innerhalb der letzten 6 Jahre.
Ungleichbehandlung von Asylberechtigten
Die Anknüpfung an die Aufenthaltsdauer in Österreich sei zudem im Hinblick auf Asylberechtigte (Personen, denen internationaler Schutz bereits zuerkannt wurde) unsachlich: Asylberechtigte mussten ihr Herkunftsland wegen "wohl begründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden" verlassen und könnten aus denselben Gründen (derzeit) nicht dorthin zurückkehren. Asylberechtigte könnten daher im vorliegenden Zusammenhang nicht mit anderen Fremden (Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen), denen es frei steht, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren, gleichgestellt werden.
Leistungsdeckelung war Wahlkampfthema von ÖVP und FPÖ
ÖVP und FPÖ hatten sich im Wahlkampf immer wieder für eine Deckelung der Sozialleistung auf 1.500 Euro ausgesprochen, weil sie einen Missbrauch durch kinderreiche Flüchtlingsfamilien befürchten. Die ÖVP-FPÖ-Koalition strebt eine bundeseinheitliche Regelung der Frage an, die momentan noch Ländersache ist. Der oberste Gerichtshof hatte im Dezember 2017 die Regelungen in Vorarlberg für rechtens erklärt, weil dort trotz Höchstgrenzen Ausnahmeregelungen möglich seien.