Verweigerter Hammelsprung in Nachtsitzung: BVerfG lehnt AfD-Eilantrag ab

Die AfD ist im Streit um einen verweigerten Hammelsprung zur Feststellung der Beschlussunfähigkeit des Bundestags in einer Nachtsitzung Ende Juni 2019 mit einem Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Die Partei wollte drei in der Sitzung beschlossene Gesetze vorläufig stoppen. Das BVerfG hat den Eilantrag nach Vornahme einer Folgenabwägung mit Beschluss vom 17.09.2019 abgelehnt, da der AfD kein schwerer Nachteil drohe, sollten verfassungswidrige Gesetze zunächst in Kraft bleiben (Az.: 2 BvQ 59/19).

Beschlussfähigkeit des Deutschen Bundestages

Die Feststellung der Beschlussfähigkeit des Deutschen Bundestages ist in den Vorschriften der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geregelt. Danach ist der Bundestag beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschlussfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden 5% der Mitglieder des Bundestages bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht, so sind die Stimmen zu zählen.

AfD bezweifelte Beschlussfähigkeit bei Nachtsitzung - Sitzungsvorstand lehnte Hammelsprung ab

Die 107. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages dauerte vom 27.06. bis in die frühen Morgenstunden des 28.06.2019. Als Tagesordnungspunkte 22a und 22b rief die Vizepräsidentin des Bundestages zwei Gesetzentwürfe zur Beratung auf. Bevor die Abgeordneten mit den Abstimmungen über die Gesetzentwürfe begannen, bezweifelte am 28.06.2019 gegen 1.27 Uhr ein Abgeordneter der AfD-Fraktion die Beschlussfähigkeit der Versammlung, woraufhin die Vizepräsidentin für den Sitzungsvorstand erwiderte, dass nach dessen Meinung die Beschlussfähigkeit gegeben sei. Schließlich wurden zunächst die beiden Gesetzentwürfe sowie später noch ein dritter Entwurf zur Abstimmung gestellt. Alle erhielten die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Präsidium bestätigte Sitzungsvorstand

Noch im Lauf des 28.06.2019 befasste sich der Ältestenrat auf Antrag der Antragstellerin mit der Entscheidung des Sitzungsvorstands, keine Zählung durchzuführen. Der Präsident des Deutschen Bundestages erklärte daraufhin in einer Pressemitteilung, das Präsidium des Bundestages sei einhellig der Auffassung, dass der Sitzungsvorstand die Vorschriften der Geschäftsordnung über die Feststellung der Beschlussfähigkeit korrekt angewendet habe. Mit ihrem Eilantrag wollte die AfD erreichen, dass dem Bundespräsidenten bis auf Weiteres untersagt wird, drei durch den Bundestag beschlossene Gesetze gegenzuzeichnen, auszufertigen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden.

BVerfG: Antragstellerin droht kein schwerer Nachteil

Das BVerfG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Vornahme einer Folgenabwägung abgelehnt. Dabei könne zunächst dahinstehen, dass sich aus der Begründung des Antrags schon nicht in einer den Anforderungen des § 23 Abs. 1 BVerfGG genügenden Weise ergibt, welche organschaftliche Rechtsposition die Antragstellerin in einem etwaigen Organstreitverfahren gegen welchen Antragsgegner geltend zu machen gedenkt. Denn der Antragstellerin drohte kein schwerer Nachteil, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge und ein Organstreitverfahren später Erfolg hätte.

Begrenzte Rechtsfolgen in Organstreitverfahren hinzunehmen

Soweit die Antragstellerin für diesen Fall den Eintritt einer Art "verfassungsrechtlichen Notstands" befürchte, überzeuge dies nicht, so das BVerfG. Was sie damit in der Sache rüge, sei das Auseinanderfallen der möglichen Rechtsfolgen von Organstreitverfahren einerseits und Normenkontrollverfahren andererseits. Nach § 67 BVerfGG stelle das BVerfG in seiner Entscheidung über einen Organstreit nur fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Rechtsfolge der abstrakten Normenkontrolle könne hingegen nach § 78 BVerfGG die Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes durch das BVerfG sein. Eine Rechtsschutzlücke für mögliche Antragsteller des Organstreits folge hieraus jedoch nicht, sondern dies sei Ausdruck der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GG, dem objektiven Normenbeanstandungsverfahren mit dem Organstreit ein kontradiktorisches Streitverfahren ausschließlich zur Klärung eines bestimmten Verfassungsrechtsverhältnisses zur Seite zu stellen. Für eine sich von diesem gesetzlich gezogenen Rahmen lösende Ausdehnung der Kompetenzen des BVerfG sei kein Raum.

Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nachgelagerter Rechtsschutz

Laut BVerfG wäre es unabhängig davon kein schwerer Nachteil für die Antragstellerin, dass im Fall eines späteren Erfolgs des Organstreits in der Hauptsache zunächst formell verfassungswidrige Gesetze in Kraft blieben. Denn das Grundgesetz kenne grundsätzlich keine präventive Normenkontrolle, die einen solchen Zustand verhindern würde. Dass verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nachgelagerter, kassatorischer Rechtsschutz sei, sei nicht nur aus grundlegenden Erwägungen demokratischer Gewaltenteilung gerechtfertigt, sondern trage vor allem der ausdrücklichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes Rechnung, wonach das BVerfG die dem Bundespräsidenten vor der Ausfertigung obliegende Kompetenz zur Prüfung eines Gesetzes zu respektieren habe.

Bundestag kann über von AfD gerügte Gesetze jederzeit erneut abstimmen

Das Argument der Antragstellerin, nur durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung könnten die fraglichen Gesetze in einem ordnungsgemäßen Verfahren durch einen beschlussfähigen Bundestag abermals verabschiedet werden, überzeugt das BVerfG ebenfalls nicht. Der Bundestag könne zu jedem Zeitpunkt erneut über die von der Antragstellerin bemängelten Gesetze abstimmen, und zwar unabhängig sowohl von einem Erlass der einstweiligen Anordnung als auch von einer Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte der Antragstellerin in einem späteren Organstreitverfahren.

BVerfG, Beschluss vom 17.09.2019 - 2 BvQ 59/19

Redaktion beck-aktuell, 24. September 2019.

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