Vertrieb eines rezeptfreien Arzneimittels in anderem EU-Staat nur mit dessen Genehmigung

Ein in einem Mitgliedstaat nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegendes Arzneimittel darf in einem anderen Mitgliedstaat nur dann vertrieben werden, wenn auch dieser Mitgliedstaat sein Inverkehrbringen genehmigt. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Ausnahmen davon seien in besonderen medizinischen Bedarfsfällen möglich.

Pharmaunternehmen vertrieb in anderem EU-Staat rezeptfreies Arzneimittel in Ungarn

Das ungarische Unternehmen Pharma Expressz vertrieb in Ungarn Arzneimittel, deren Inverkehrbringen als nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegende Arzneimittel durch einen anderen Mitgliedstaat genehmigt worden war. Ungarische Behörden wiesen das Unternehmen an, diese Geschäftspraxis, die im ungarischen Recht vorgesehene Formalitäten missachte, zu unterlassen.

Vertrieb nicht genehmigter Arzneimittel in Ungarn nur unter bestimmten Voraussetzungen

Nach ungarischem Recht dürfen Arzneimittel, die über keine von den ungarischen Behörden oder der Europäischen Kommission erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen verfügen, nur dann vertrieben werden, wenn ihre Verwendung zu therapeutischen Zwecken den ungarischen Behörden von einem verschreibenden Arzt mitgeteilt wird, der eine Stellungnahme dieser Behörden zu dieser Anwendung einholen muss.

Ungarische Rechtslage mit EU-Recht vereinbar?

Pharma Expressz hat den Bescheid der ungarischen Behörden in Ungarn angefochten. Das damit befasste Gericht hat den EuGH um Klärung der Frage ersucht, ob es nicht gegen das Unionsrecht verstoße, die Einhaltung dieser Formalitäten für den in Ungarn erfolgenden Vertrieb von Arzneimitteln zu verlangen, deren Inverkehrbringen als nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegende Arzneimittel durch einen anderen Mitgliedstaat genehmigt worden sei.

EuGH: Genehmigung der Kommission oder des betreffenden Mitgliedstaats erforderlich

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass nach der Arzneimittelrichtlinie (RL 2001/83/EG) ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden dürfe, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats oder die Kommission in Anwendung des dafür vorgesehenen zentralisierten Verfahrens eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat. Verfüge ein Arzneimittel also nicht über eine von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem es zum Verkauf angeboten werde, oder eine nach dem zentralisierten Verfahren erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen, dürfe es in diesem Staat nicht vertrieben werden, und zwar unabhängig davon, dass es in einem anderen Mitgliedstaat ohne ärztliche Verschreibung verkauft werden darf.

Anerkennungsantrag nicht gestellt

Zu dem in der Arzneimittelrichtlinie vorgesehenen Verfahren der gegenseitigen Anerkennung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen stellt der EuGH fest, dass es unter strengen Voraussetzungen durchgeführt werde. Das Verfahren hänge davon ab, dass der Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines bestimmten Arzneimittels in einem Mitgliedstaat einen Antrag auf Anerkennung dieser Genehmigung in den anderen Mitgliedstaaten stellt, was nicht den Umständen der vorliegenden Rechtssache entspreche. Folglich 
verlange die Arzneimittelrichtlinie nicht nur nicht, dass ein Arzneimittel, dessen Inverkehrbringen als nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegendes Arzneimittel durch einen Mitgliedstaat genehmigt worden sei, durch einen anderen Mitgliedstaat, der dessen Vertrieb nicht genehmigt habe, ebenfalls als nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegendes Arzneimittel anzusehen sei, sondern stehe ganz im Gegenteil dieser Möglichkeit entgegen.

Ausnahme ist ordnungsgemäße Umsetzung der Arzneimittelrichtlinie 

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass die sich aus den ungarischen Rechtsvorschriften ergebenden Formalitäten offenbar die Umsetzung einer in der Arzneimittelrichtlinie vorgesehenen Ausnahme in ungarisches Recht darstellten, die in besonderen medizinischen Bedarfsfällen das Inverkehrbringen von Arzneimitteln in einem Mitgliedstaat gestatte, selbst wenn keine von diesem Staat oder der Kommission erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen vorliege. Da Ungarn mit der Einführung dieser Formalitäten eine ordnungsgemäße Umsetzung dieser Ausnahme vorgenommen habe, könnten sie jedoch nicht als mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahme gleicher Wirkung im Hinblick auf den Grundsatz des freien Warenverkehrs eingestuft werden.

EuGH, Urteil vom 08.07.2021 - C-178/20

Redaktion beck-aktuell, 8. Juli 2021.