Arbeitsunfall durch Hüpfkissen-Springen in Freiwilligem Sozialen Jahr
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© Christian Charisius / picture alliance/dpa

Das Bundessozialgericht hat am 06.10.2020 im Fall einer 17-Jährigen, die sich während eines Freiwilligem Sozialen Jahrs (FSJ) beim Hüpfkissen-Springen in der Freizeit schwer verletzt hatte, einen Arbeitsunfall bejaht. Der Unfall hatte sich am Rande eines FSJ-Einführungsseminars ereignet. Die Jugendliche war neben dem Hüpfkissen gelandet, nachdem andere Teilnehmer sie in die Luft katapultiert hatten. Der FSJ-Träger habe durch das Hüpfkissen eine spezifische Gefahr für das Ausleben jugendlichen Spieltriebs geschaffen, so das BSG.

Hüpfunfall am Rande eines Einführungsseminars

Die 1998 geborene Klägerin hatte nach der Realschule im September 2015 ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) angefangen. Sie nahm an einem einwöchigen Einführungsseminar teil, das im FSJ-Vertrag vorgesehen war. Dabei Seminarprogramm fand täglich von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr statt. Die sich anschließende Freizeit stand den Teilnehmern zur freien Verfügung. Als sich die Klägerin an einem Abend etwa gegen 20.00 Uhr mit weiteren Teilnehmern ihres Seminars zu einem Karten- und Rollenspiel in ein anderes Haus der Einrichtung begab, stieß die Gruppe unterwegs auf ein aufgeblasenes Hüpfkissen und begann darauf herumzuhüpfen. Die Klägerin sollte sich in die eine Hälfte des Kissens setzen, während acht Teilnehmer gleichzeitig auf die andere Hälfte springen sollten, um die Klägerin in die Luft zu katapultieren. Dabei wurde sie verletzt und zog sich Deckplatteneinbrüche verschiedener Wirbelkörper der Brust- und Lendenwirbelsäule und eine Impressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers zu.

BSG kippt LSG-Entscheidung

Die Unfallversicherung lehntes es ab, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass die zum Unfallzeitpunkt ausgeübte Tätigkeit auf dem Sprungkissen dem privaten Lebensbereich der Klägerin zuzurechnen sei. Dieser Auffassung folgte das LSG Niedersachsen. Zwar seien Teilnehmer eines freiwilligen sozialen Jahrs (FSJ) als Beschäftigte unfallversichert. Der Versicherungsschutz umfasse aber keine spielerischen Freizeitaktivitäten am Rande eines Einführungsseminars zum FSJ, so das LSG. Das Bundessozialgericht hat jetzt das LSG-Urteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende SG-Urteil zurückgewiesen.

Hüpfkissen-Aktion: Inneren Zusammenhang mit versicherter Tätigkeit bejaht

Die Klägerin habe auf dem Hüpfkissen in der Bildungsstätte einen versicherten Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs 1 SGB VII n Verbindung mit § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erlitten, so die Kasseler Richter. So sei die Klägerin zunächst als Teilnehmerin an einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) Beschäftigte im Sinne des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert gewesen. Aber auch das Springen auf dem Hüpfkissen habe noch in einem inneren Zusammenhang mit dieser grundsätzlich versicherten Tätigkeit gestanden, so das BSG.

FSJ-Träger schuf spezifische Gefahr für leichtsinnige jugendliche Spielereien 

Zwar sei diese Verrichtung keine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis gewesen und habe von der Klägerin auch nicht als solche verstanden werden können. Der Träger des FSJ habe jedoch eine erhöhte spezifische Gefahr für die ungehemmte Entfaltung jugendlicher leichtsinniger Spielereien und gruppendynamischer Prozesse einschließlich des damit verbundenen Verletzungspotenzials durch Abhaltung eines einwöchigen Seminars für Jugendliche an einem fremden, abgelegenen Ort mit einem unfallträchtigen Sportgerät ohne entsprechende Aufsicht geschaffen.

Besondere Maßstäbe für Versicherungsschutz jugendlicher Arbeitnehmer

Für den Versicherungsschutz jugendlicher Arbeitnehmer bei durch spielerisches Verhalten auf der Betriebsstätte verursachten Unfällen gölten schon nach bisheriger Rechtsprechung besondere Maßstäbe, heißt es im Urteil weiter. Hierbei sei jeweils die besondere Situation am Arbeitsplatz und der Spieltrieb Jugendlicher zu berücksichtigen. Ein sachlicher Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit sei bejaht worden, wenn der Jugendliche durch die Gestaltung der Betriebsverhältnisse in die Lage versetzt wurde, sich durch leichtsinnige Spielereien und gruppendynamische Prozesse besonderen Gefahren auszusetzen.

Benutzung des Hüpfkissens noch als versicherte Tätigkeit anzusehen

Hiervon ausgehend kann laut BSG bei Jugendlichen auf Geschäfts- oder Seminarreisen eine auf dem altersbedingten unbändigen Spieltrieb und gruppentypischen Verhalten beruhende Handlung, die zu einem Unfall führt, eine im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII stehende Tätigkeit darstellen, insbesondere wenn die jugendlichen Arbeitnehmer durch die Umstände der Seminarreise in die Lage versetzt wurden, sich besonderen Gefahren auszusetzen. Damit sei die Benutzung des Hüpfkissens hier noch als versicherte Tätigkeit anzusehen.

Hüpfkissen als Sportgerät per se gefährlich

Denn das Seminar sei in einer für die Klägerin und die weiteren Teilnehmer fremden und abgelegenen Umgebung abgehalten worden. Den Seminarteilnehmern hätten für ihre Freizeitgestaltung im Wesentlichen nur die von den Betreuern durchgeführten Aktivitäten sowie die Angebote der Einrichtung zur Verfügung gestanden. Zwar sei zum Unfallzeitpunkt die offizielle Seminarzeit beendet gewesen, jedoch sei an diesem Abend ein weiterer Programmpunkt angeboten worden, zu dem die Klägerin zusammen mit anderen Seminarteilnehmern unterwegs gewesen sei, als die Gruppe das Hüpfkissen entdeckt und die Gelegenheit zum Spielen darauf genutzt habe. Das Hüpfkissen als Sportgerät berge schon aufgrund seiner Beschaffenheit erhebliche Verletzungsgefahren in sich, so da BSG. Nach den bindenden Feststellungen des LSG sei der unfallbringende Katapultsprung sodann aufgrund altersbedingter Gegebenheiten wie Übermut, Spieltrieb, Gruppendynamik und Fehleinschätzung der Gefahrenlage erfolgt.

Spieltrieb auch bei "17-Jährigen" noch vorhanden

Dem steht laut BSG nicht entgegen, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt bereits fast 17 Jahre alt war. Zwar dürfte der Spieltrieb mit fortschreitendem Alter abnehmen, doch könne dieser gerade in Gruppen Gleichaltriger wieder aufleben und durch gruppendynamische Prozesse, wie sich gegenseitig "anfeuern" oder "hochschaukeln", verstärkt werden. Gerade in solchen Situationen bestehe die Gefahr, dass Jugendliche von übermütigen Ideen mitgerissen werden und sich unter dem Eindruck der Gruppendynamik erheblichen Gefahren für die körperliche Unversehrtheit aussetzen. Dies gilt dem BSG zufolge insbesondere vor dem Hintergrund der Zusammenstellung der Seminargruppe, die für das Einführungsseminar zur Ableistung des FSJ in der Regel aus Jugendlichen bestehe, die sich untereinander nicht kennten, aber für die gemeinsame Freizeitgestaltung während der Seminarreise in einem abgelegenen Gebiet aufeinander angewiesen seien.

BSG, Urteil vom 06.10.2020 - B 2 U 13/19 R

Redaktion beck-aktuell, 7. Oktober 2020.