Verkehrsgerichtstag eröffnet: Experten diskutieren aktuelle Themen

Seit Mittwoch debattieren Experten aus ganz Deutschland auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar. Themen sind Cannabis im Straßenverkehr, Sicherheit des Radverkehrs sowie Folgen der Bußgelderhöhung. Auf dem Programm stehen außerdem das Rehabilitationsmanagement, die Haftung für langsame Fahrzeuge wie E-Scooter und die Beurteilung der Fahreignung durch Gerichte und Behörden. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich zu den verschiedenen Arbeitskreisen geäußert.

Folgen der Bußgelderhöhung

Im November des vergangenen Jahres ist die Reform des Bußgeldkataloges in Kraft getreten. Eines der Hauptziele war es, durch eine Erhöhung der Geldbußen und neuer Tatbestände eine Veränderung des Fahrverhaltens zu erreichen. Ob sich diese Erhöhung tatsächlich auswirken wird, sei noch nicht abschließend untersucht worden, heißt es in der Mitteilung des DAV zum Verkehrsgerichtstag. Zwar liege Deutschland trotz der erhöhten Geldbußen nur noch im Mittelfeld, jedoch sei die Kontrolldichte wesentlich höher. Dies führe zu einer Belastung der Amts- und Oberlandesgerichte. Die DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht fordert vor diesem Hintergrund, das gegenwärtige starre System zu verlassen und den einzelnen Behörden mehr Entscheidungsspielraum zu geben. Sie will sich dafür einsetzen, neue Aspekte der Sanktionierung bereits auf der behördlichen Ebene in den Bußgeldgeldkatalog als Alternative zum Fahrverbot aufzunehmen zu lassen.

Cannabis im Straßenverkehr

Der Bundestag beabsichtigt, den Erwerb und Besitz von Cannabis unter bestimmten Voraussetzungen zu legalisieren. Die Verkehrsrechtsanwälte des DAV weisen darauf hin, dass dabei auch die Auswirkung auf die Teilnahme am Straßenverkehr bedacht werden müssen. Anders als bei Alkoholfahrten gebe es beim Cannabiskonsum keine festen Grenzwerte, wann von einer Fahruntüchtigkeit auszugehen ist. "Bei der angedachten Cannabis-Liberalisierung muss es auch eine Gleichstellung mit dem Alkohol geben", so Rechtsanwalt Andreas Krämer aus Frankfurt am Main. Dies müsse im Hinblick auf die wirkliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit geschehen und eben nicht durch Beibehaltung des Grenzwertes von 1 ng/ml gleichsam eine Null-THC. Hier sollten neue Grenzwerte auf der Basis neuerer wissenschaftlicher Studien und Erfahrungen aus anderen Ländern geschaffen werden, die zwischen 2 bis 18 ng/ml liegen und sicherstellen, dass auch nur wirklich berauschte Kraftfahrer sanktioniert werden. Soweit im Gesetzgebungsverfahren über einen Toleranzwert von 10 ng/ml nachgedacht werde, könne dieser jedoch nur dann als Grundlage genommen werden, sofern bei diesem Wert aus wissenschaftlicher Sicht eine ähnliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit angenommen werden könne wie bei 0,5 Promille Blutalkohol.

Mehr Sicherheit für Radfahrer

Der Radverkehr habe aus verschiedenen Gründen in den letzten Jahren rapide zugenommen, so die DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht. Ihrer Ansicht nach muss dem durch eine Stärkung der Verkehrssicherheit Rechnung getragen werden. Hierzu gebe es verschiedene Ansätze, die auch in dem Arbeitskreis in Goslar diskutiert werden sollen. Neben technischen Möglichkeiten, wie beispielsweise Assistenzsystemen oder dem bereits vorhandenen, aber zu selten benutzten Fahrradhelm, gebe es Überlegungen, den Radverkehr durch vom übrigen Verkehr abgetrennte Fahrbahnen zu separieren und so zu schützen. Dafür werde allerdings eine entsprechende Fläche benötigt. Daraus folge häufig auch der Konflikt mit dem übrigen Verkehr, insbesondere dem Kraftfahrzeugverkehr. Gerade in den Städten seien die verfügbaren Flächen begrenzt. Maßnahmen zur Sicherheit im Radverkehr dürften jedoch nicht allein zulasten der anderen Verkehrsteilnehmer gehen. "Auch auf die Interessen und die Funktionen des Kraftfahrzeugverkehrs muss geachtet werden", so Rechtsanwalt Martin Diebold von den DAV-Verkehrsanwälten.

Reha-Management Schwerstverletzter nach Verkehrsunfällen

Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV ist das Rehabilitationsmanagement nach einem Verkehrsunfall mit dem Verletzten vorteilhaft. Es solle gewährleisten, dass der Patient unmittelbar nach seiner Behandlung im Krankenhaus eine für ihn passende Anschlussbehandlung erhält. Dabei werde oft die Hilfe von Dienstleistern des Rehabilitationsmanagements in Anspruch genommen. Damit diese in keinem Fall zum Nachteil der Geschädigten arbeiten, sei Voraussetzung, dass diese neutral sind. Der DAV schlägt daher vor, dass diese Rehabilitationsdienste durch einen Beirat anerkannt werden. Die aktive Beteiligung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des Geschädigten am Personenschadenmanagement müsse auch entsprechend honoriert werden. Sie stelle eine gebührenrechtlich gesonderte Angelegenheit dar. Diese Anwaltskosten seien auch ein ersatzfähiger Schaden. Der Gegenstandswert müsse sich dabei der Höhe nach nach den Kosten, die der Haftpflichtversicherer dem Rehabilitationsdienst für die eigene Leistung des Rehabilitationsdienstleisters bezahlt, orientieren.

Gefährdungshaftung für E-Scooter sinnvoll

Geschwindigkeitsreduzierte Fahrzeuge, die nicht mehr als 20 km/h erreichen, sind von der sogenannten Gefährdungshaftung ausgenommen. Gehaftet wird nur nach dem Schuldprinzip und nicht nach der Gefährlichkeit eines einzelnen Fahrzeugs (Betriebsgefahr). Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht muss sich dies ändern. Das aktuelle Haftungssystem, wonach bei Unfällen ausschließlich das Verschuldensprinzip gilt, sei mit Blick auf den zunehmenden Verkehr und die Art und Weise der Nutzung solcher Kleinstfahrzeuge nicht mehr zeitgemäß. Es empfehle sich, neben der schon bestehenden Versicherungspflicht jedenfalls E-Scooter und Krankenfahrstühle als neues Massentransportmittel aus der Haftungsprivilegierung herauszunehmen und der Gefährdungshaftung zu unterwerfen.

Beurteilung der Fahreignung durch Strafgericht und Fahrerlaubnisbehörde

Die Fahrerlaubnis kann sowohl von den Strafgerichten als auch von den Fahrerlaubnisbehörden entzogen werden. Dabei sind die Verwaltungsbehörden an den vom Strafgericht festgestellten Sachverhalt gebunden. Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht wird das Ziel des Gesetzgebers, widersprüchliche Entscheidungen zulasten des Betroffenen zu vermeiden, leider in vielen Fällen verfehlt. Die zwingende Bindungswirkung der Fahrerlaubnisbehörde an die Feststellung des Gerichts sollte nach Ansicht des DAV aufgehoben werden.

Redaktion beck-aktuell, 17. August 2022.