VerfGH Baden-Württemberg: Richterin und AfD-Büroleiterin in Organstreitverfahren mit AfD-Fraktion befangen

Die Richterin des Verfassungsgerichtshofs Reiter ist von der Mitwirkung in den Organstreitverfahren “AfD-Fraktion gegen Landtag“ und “MdL Dr. Fiechtner gegen AfD-Fraktion“ ausgeschlossen, da gegen sie wegen ihrer Tätigkeit als Büroleiterin für einen Abgeordneten der AfD-Fraktion die Besorgnis der Befangenheit besteht. Dies geht aus zwei Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 03.07.2017 hervor (Az.: 1 GR 29/17; 1 GR 35/17).

Richterin zeigte Stellung als Büroleiterin in der AfD-Fraktion an

Das zur Gruppe der juristischen Laien gehörende Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rosa-Maria Reiter hat in den Organstreitverfahren 1 GR 29/17 und 1 GR 35/17 selbst angezeigt, dass sie als Büroleiterin des Abgeordneten der AfD-Fraktion Hans Peter Stauch beschäftigt ist. In beiden Verfahren hat der Verfassungsgerichtshof nach Anhörung der Beteiligten beschlossen, dass die Ablehnung der Richterin durch die Antragsteller begründet ist und dass der von ihr angezeigte Sachverhalt die Besorgnis der Befangenheit begründet.

VerfGH: Büroleiterin hat Anteil an politischer Meinungsbildung

Die Richterin Reiter sei für das Mitglied des Landtags Stauch in Teilzeit als dessen Büroleiterin beschäftigt und als solche nicht nur mit Büroorganisation, sondern auch mit der Recherche, dem Erarbeiten von Reden und Entscheidungsvorlagen sowie der Führung zweier Mitarbeiter beauftragt gewesen. Damit habe sie Anteil an der politischen Meinungsbildung des Abgeordneten. Ein solches Arbeitsverhältnis setze typischerweise ein nicht unerhebliches Maß an politischer Übereinstimmung und Vertrauen voraus. Von der Erforderlichkeit eines besonderen politischen Vertrauensverhältnisses eines Landtagsabgeordneten zu seinem persönlichen Mitarbeiter und von einem davon abhängenden Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses zwischen beiden gehe die Landesverfassung aus.

Tätigkeit begründet Interessenkonflikt

Darüber hinaus besäßen die Mitarbeiter eines Abgeordneten zum Schutz der Tätigkeit des Abgeordneten wie dieser ein von Art. 39 Satz 2 LV geschütztes Zeugnisverweigerungsrecht über Wahrnehmungen, die sie anlässlich ihrer Mitarbeit gemacht haben. Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts müsse der Abgeordnete und nicht der Mitarbeiter entscheiden. Gleichzeitig bestehe für die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs jedoch eine gesetzliche Auskunftspflicht über Umstände im Sinne von § 12 VerfGHG. Dies könne einen Interessenkonflikt zwischen der Tätigkeit als Mitarbeiter eines Mitglieds des Landtags und der Mitgliedschaft im Verfassungsgerichtshof begründen und eine nicht näher aufklärbare Quelle für mögliche Zweifel an der Befangenheit eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs sein.

Gericht zweifelt an ordnungsgemäßer Ausübung der Kontrollfunktion

Vor diesem Hintergrund sei jedenfalls bezüglich eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs, das zugleich in leitender Funktion Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines Abgeordneten ist, davon auszugehen, dass aus der Sicht eines verständigen Dritten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Mitglieds bestehe, wenn der Abgeordnete selbst oder dessen Fraktion unmittelbar an einem Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beteiligt ist. Zweifel daran, ob ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs seiner Kontrollfunktion noch nachgehen kann, seien umso eher angebracht, je maßgeblicher das betreffende Mitglied des Verfassungsgerichtshofs an der Tätigkeit des Abgeordneten teilhabe. Die im Verfahren 1 GR 35/17 streitigen Maßnahmen beträfen zudem einen Meinungsstreit oder Machtkampf innerhalb der AfD-Fraktion. Schon deshalb bestünden Zweifel, ob die Richterin Reiter in diesem Verfahren einen unparteiischen und von dem Abgeordneten oder dessen Fraktion unabhängigen Standpunkt einnehmen könne.

Loyalitätskonflikt in beiden Verfahren nicht ausgeschlossen

In dem Verfahren sei zudem deutlich geworden, dass die Fraktion der AfD von ihren Abgeordneten nachdrücklich verlange, dass sich deren persönliche Mitarbeiter auch gegenüber der Fraktion loyal verhielten. So sei der Antragsteller von der Fraktion aufgefordert worden, einen persönlichen Mitarbeiter zu entlassen, weil dieser sich gegenüber der Fraktion nicht loyal verhalten habe. Auch im Verfahren 1 GR 29/17, das keinen fraktionsinternen, sondern einen Streit mit der Landtagsmehrheit über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses betrifft, könne aufgrund der Tätigkeit für einen Abgeordneten der antragstellenden Fraktion im Organstreitverfahren ein Loyalitätskonflikt nicht ausgeschlossen werden.

VerfGH BW, Beschluss vom 03.07.2017 - 1 GR 29/17

Redaktion beck-aktuell, 4. Juli 2017.