Coronabedingtes "Alkoholverbot" in Thüringen war verfassungswidrig

In einem Verfahren zur Thüringer Corona-Verordnung vom 14.12.2020 hat der Verfassungsgerichtshof des Landes entschieden, dass das Verbot zum Ausschank und Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum verfassungswidrig war. Das nächtliche Ausgangsverbot habe dagegen weitestgehend mit der Verfassung im Einklang gestanden. Die übrigen Regelungen in der Verordnung vom 14.12.2020 hat der VerfGH bestätigt.

IfSG hinreichende parlamentarische Ermächtigung

Der aktuelle Beschluss bescheidet einen Antrag der Fraktion der AfD im Thüringer Landtag vom 22.12.2020. Den korrespondierenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte der VerfGH bereits am 28.12.2020 auf der Grundlage einer summarischen Prüfung zurückgewiesen. In der jetzigen Entscheidung zur Hauptsache setzte sich der VerfGH zunächst mit der bundesrechtlichen Grundlage für die Thüringer Verordnung in §§ 28, 28a IfSG in der Fassung vom 18.11.2020 auseinander. Die damalige Neuregelung des § 28a IfSG wahrte seiner Ansicht nach die Anforderungen an eine hinreichende parlamentarische Ermächtigung der Landesregierungen als Verordnungsgeber. Im Bereich der Gefahrenabwehr, zu dem das IfSG gehöre, sei der Gesetzgeber verpflichtet, realitätsgerechte Maßstäbe für die Beurteilung der Gefahrenlage aufzustellen. Diesen Anforderungen habe zum damaligen Zeitpunkt, als Impfungen noch nicht allgemein zur Verfügung standen, der sogenannte Sieben-Tage-Inzidenzwert, der die Zahl der Neuinfektionen in einem Landkreis oder einer Stadt während der vergangenen sieben Tage misst, entsprochen. Der Wert habe es den Behörden ermöglicht, mit zeitlichem Vorlauf die zu erwartenden Hospitalisierungen von an COVID-19 erkrankten Patienten realitätsnah einzuschätzen.

Flächendeckendes Alkohol-Verbot verfassungswidrig

In der weiteren Prüfung stellte der VerfGH gleichwohl fest, dass Einzelregelungen der Thüringer Verordnung entweder nicht den Vorgaben des § 28a IfSG entsprachen oder mit Grundrechten der Thüringer Verfassung nicht vereinbar waren. So habe das Verbot des Ausschanks und des Konsums von Alkohol in der Öffentlichkeit nach § 3a der Verordnung gegen die gesetzliche Vorgabe verstoßen, dass solche Verbote nur an bestimmten, von den Gesundheitsbehörden bezeichneten Orten festgelegt werden durften. Das flächendeckende Verbot sei dagegen durch die Ermächtigung nicht gedeckt gewesen.

Allein "Verlassen" der Wohnung nach 22 Uhr durfte geahndet werden

Im Hinblick auf die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen in der Zeit zwischen 22 und 5 Uhr nach § 3b der Verordnung entschied der VerfGH, dass sie sich nicht auf das befriedete Besitztum erstreckten, da dieses durch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung geschützt war. Soweit die Verordnung darauf zielte, ein nächtliches Aufenthaltsverbot im Freien festzulegen, habe der Wortlaut der Verordnung das nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Verboten worden sei ausdrücklich nur das "Verlassen" der Wohnung, sodass kein mit Bußgeld zu ahndender Rechtsverstoß begangen wurde, wenn eine Person vor 22 Uhr die Wohnung verlassen hatte und sich danach im Freien aufhielt. Der VerfGH stellte ferner klar, dass die Beweislast für Verstöße gegen die Verordnung bei der zuständigen Verwaltungsbehörde und nicht beim Bürger gelegen habe. Im Hinblick auf das Grundrecht der körperlichen Bewegungsfreiheit betonte er, dass allgemeine Ausgangsbeschränkungen nur als ultima ratio in Betracht kommen, wenn andere Schutzmaßnahmen nicht mehr ausreichen, um die Verbreitung einer Ansteckungskrankheit wirksam einzudämmen. Zudem sah er es als zwingend geboten an, Ausnahmen für grundrechtlich geschützte Tätigkeiten und für die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen vorzusehen.

Nächtliches Ausgangsverbot zum Teil verfassungswidrig

Als verfassungswidrig beurteilte der VerfGH es mit einer Mehrheit von 7 zu 2, dass das Ausgangsverbot auch einzelnen Personen untersagte, nachts die Wohnung zu verlassen, um sich allein im Freien zu bewegen. Das damit verbundene geringe Infektionsrisiko rechtfertigte eine Ausgangsbeschränkung insoweit nicht. Soweit im Übrigen das Ausgangsverbot galt, beurteilte der VerfGH es als noch verhältnismäßig. Maßgeblich für diese Bewertung war seinen Angaben zufolge, dass es nur während der regulären Schlafens- und Ruhezeiten zur Anwendung kam und dass es sich lediglich über einen Zeitraum von zwei Monaten erstreckte, als die Inzidenzwerte in Thüringen weit über dem Bundesdurchschnitt lagen.

VerfGH lässt Böllerverbot an Silvester unbeanstandet

Dagegen hielt der VerfGH die anlässlich Silvester 2020 bestehenden Verbote zum Verkauf und Abbrennen von Feuerwerkskörpern nach § 6a der Verordnung für noch mit der Thüringer Verfassung vereinbar.

VerfGH Thüringen, Urteil vom 14.12.2021 - VerfGH 117/20

Redaktion beck-aktuell, 20. Dezember 2021.