VerfGH Saarland kippt Ausgangsbeschränkungen

Im Saarland müssen die im Zuge der Corona-Pandemie verfügten Ausgangsbeschränkungen nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sofort gelockert werden. Es gebe "aktuell keine belastbaren Gründe für die uneingeschränkte Fortdauer der strengen saarländischen Regelung des Verbots des Verlassens der Wohnung" mehr, entschieden die Verfassungsrichter am 28.04.2020 (Az.: Lv 7/20). Das heißt: Begegnungen in Familien sowie das Verweilen im Freien unter Wahrung der notwendigen Abstände und Kontaktbeschränkungen seien ab sofort wieder möglich.

Auch Begegnung mit Angehörigen aus anderem Hausstand geschützt

Eingriffe in das Grundrecht der Freiheit der Person – wie Ausgangsbeschränkungen – bedürfen einer begleitenden Rechtfertigungskontrolle, erläuterte der VerfGH. Je länger sie wirken, desto höher müssten die Anforderungen an ihre Begründung und an ihre Kohärenz mit anderen Regelungen des Zusammentreffens von Menschen sein. Der VerfGH betonte zudem, dass das Grundrecht auf Schutz der Familie auch die Begegnung mit Angehörigen einer Familie schütze, die nicht dem eigenen Haushalt angehören.

Ausübung eines Grundrechts nicht rechtfertigungsbedürftig

Die Ausübung eines Grundrechts sei nicht rechtfertigungsbedürftig. Vielmehr bedürfe seine Einschränkung der Rechtfertigung, die zwischen der Tiefe des Eingriffs einerseits und dem Ausmaß und der Wahrscheinlichkeit der drohenden Gefahr, zu deren Abwendung die Einschränkung erfolge, nachvollziehbar abwägen müsse. Der Exekutive komme bei ihrer Gefahrenprognose ein grundsätzlich weiter Einschätzungsspielraum zu.

Reine Vermutungen nicht ausreichend

Der VerfGH verwies darauf, dass es mit zunehmender Dauer der Grundrechtsbeschränkung einer immer tragfähigeren tatsachengestützten Begründung von Risiken bedürfe, die durch eine Aufhebung der konkreten Form der Ausgangsbeschränkung befürchtet werden. Reine Vermutungen genügten dazu ebensowenig wie die Feststellung, dass sich weiterhin Neuinfektionen ereignen. Dabei müsse auch die Wahrnehmung der Einschätzungsprärogative durch die Regierungen anderer Bundesländer in Erwägung gezogen werden.

Keine Gründe gegen Verweilen im Freien bei Wahrung des Abstandsgebots

Es stelle keine konsistente Regelung der Ausübung des Grundrechts der Freiheit der Person dar, wenn die Begegnung von Angehörigen im öffentlichen Raum unter Wahrung des Abstandsgebots gestattet werde, jene im privaten indessen nicht. Sei die Bewegung im Freien unter Wahrung des Abstandsgebots nicht verboten, seien keine Gründe zu erkennen, das Verweilen im Freien unter den gleichen Bedingungen zu untersagen.

Irreversible Folgen des Eingriffs höher zu gewichtigen

Die irreversiblen Folgen einer uneingeschränkten Fortdauer des Eingriffs in das Grundrecht der Freiheit der Person hätten bei Abwägung mit den möglichen Folgen ihrer teilweisen, auf den familiären Bereich beschränkten Aussetzung angesichts der relativen Entwicklung der Infektionszahlen im Verhältnis zur Einwohnerzahl von grenznahen Bundesländern mit und ohne Ausgangsbeschränkung und angesichts vorliegender Studien zu ihrer Wirkungsweise im Vergleich zu anderen bereits teilweise aufgehobenen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung sowie angesichts der Inkonsistenz der Regelungen höheres Gewicht.

Gericht kommt geplanter Lockerung durch Landesregierung zuvor

Wenige Stunden vor der VerfGH-Entscheidung hatte die saarländische Landesregierung angekündigt, die Ausgangsbeschränkung solle vom 04.05.2020 an gelockert werden. Eine Sprecherin des Gerichtes sagte am Abend, der Beschluss der Verfassungsrichter gelte ab sofort. Der VerfGH erklärte, er wisse sich "in Übereinstimmung mit dem Vorhaben der Landesregierung", die Ausgangsbeschränkungen zu lockern.

Bürger sah Grundrecht der Freiheit der Person verletzt

Mit der Entscheidung reagierte das Gericht auf den Eilantrag eines saarländischen Bürgers. Dieser hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt und eine einstweilige Anordnung gegen die Beschränkung beantragt. Er sah sich laut Gericht in seinem Grundrecht der Freiheit der Person verletzt.

Wohnung durfte nur aus triftigem Grund verlassen werden

Seit 21.03.2020 durften die Saarländer ihre Wohnung wegen der Corona-Pandemie nur aus einem triftigen Grund verlassen. Dazu gehören der Weg zur Arbeit, notwendige Einkäufe oder Arztbesuche. Die Maßnahmen der Landesregierung seien wegen der vergleichsweise hohen Infektionszahlen im Saarland "geboten" gewesen, hieß es vom Gericht.

Hans: Kontakte außerhalb des eigenen Hausstandes weiter zu vermeiden

Nach der Entscheidung appellierte Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) an die Bürger, weiter Abstand zu halten. Die Entscheidung der Verfassungsrichter sei zu akzeptieren, sagte Hans in einer Videobotschaft auf Facebook. "Dennoch empfehle ich Ihnen: Versuchen Sie Kontakte zu Personen außerhalb des eigenen Hausstandes, wenn es irgendwie möglich ist, zu vermeiden." Dies gelte auch für Familienmitglieder, die nicht im eigenen Hausstand wohnten: "Ich bin selbst Vater von zwei kleinen Kindern und ich weiß, wie schwierig das ist, wie hart das ist, gerade jetzt seine Allerliebsten nicht zu sehen", sagte Hans. Er wisse aber auch, das es mit kleinen Kindern "fast unmöglich ist, den Abstand von zwei Metern im Haus einzuhalten, wenn Verwandte zu Besuch sind".

Redaktion beck-aktuell, 29. April 2020 (dpa).