Anwaltliche Vertretung zunächst versehentlich unrichtig angezeigt
Der Beschwerdeführer wurde als Betroffener in einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung angehört. Sein Bevollmächtigter wandte sich mit einem Schreiben an die Behörde, in dem er in der Betreffzeile das Aktenzeichen und den Namen des Beschwerdeführers angab, im Fließtext aufgrund eines Versehens allerdings die Vertretung einer näher bezeichneten Firma anzeigte. Wenige Tage später legte er mit weiterem Schreiben, nunmehr ausschließlich und korrekt namens des Beschwerdeführers, Einspruch gegen den zwischenzeitlich zugestellten Bußgeldbescheid ein.
Vorinstanzen monierten fehlende Vollmacht bei Rechtsmitteleinlegung
Im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens wies das Gericht darauf hin, dass der Einspruch nach vorläufiger Einschätzung nicht wirksam eingelegt worden sei, da trotz wiederholter Aufforderung keine Verteidigervollmacht vorgelegt worden sei. Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers reichte daraufhin eine unterschriebene Vollmachtsurkunde zu den Gerichtsakten. Das Amtsgericht verwarf den Einspruch als unzulässig. Zwar sei das Einspruchsschreiben des Verteidigers grundsätzlich fristwahrend bei der zuständigen Bußgeldbehörde eingegangen. Es genüge jedoch nicht den Anforderungen an einen wirksamen Einspruch. Hierfür sei erforderlich, dass die Vollmacht bereits zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels erteilt worden und dies auch nachgewiesen sei. Daran fehle es. Die eingereichte Vollmacht sei deutlich nach dem Zeitpunkt der Einspruchseinlegung unterzeichnet worden. Auf die sofortige Beschwerde bestätigte das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts.
VerfGH gibt Verfassungsbeschwerde statt
Der Verfassungsgerichtshof hat der daraufhin erhobenen Verfassungsbeschwerde am 28.01.2021 stattgegeben. Die Entscheidungen des Amts- sowie des Landgerichts verletzten den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren in Verbindung mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 124 der Landesverfassung als einer prozessrechtlichen Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips folge das Verbot, den Zugang zu den Gerichten in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Dem Richter sei es insbesondere verwehrt, durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf die gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar zu verkürzen.
Bestehen der Bevollmächtigung hier nicht zweifelhaft
Mit diesen Vorgaben seien die angegriffenen Beschlüsse nicht zu vereinbaren, da sie die Anforderungen an den Nachweis einer Vollmacht überspannten. Werde der Einspruch im Bußgeldverfahren durch einen Rechtsanwalt eingelegt, spreche auch vor dem Hintergrund seiner Stellung als Organ der Rechtspflege in der Regel eine Vermutung dafür, dass er hierzu bevollmächtigt sei. Eine andere Beurteilung lasse sich allenfalls bei dem Vorliegen konkreter, gegen eine Bevollmächtigung sprechender Anhaltspunkte rechtfertigen. Davon sei vorliegend aber nicht auszugehen. Zwar enthalte der erste Schriftsatz des Bevollmächtigten den Hinweis auf die Vertretung einer anderen Firma. Unter Berücksichtigung seiner nachfolgenden Schriftsätze und Anträge, in denen stets das korrekte Aktenzeichen sowie der Name des Beschwerdeführers angegeben worden seien, handele es sich aber offensichtlich um ein Schreibversehen.
Nachweis durch später unterschriebene Vollmacht kann ausreichen
Ungeachtet dessen habe der Beschwerdeführer mit der späteren Vorlage der Vollmachtsurkunde aber auch das Bestehen einer Bevollmächtigung nachgewiesen. Offenkundig unzutreffend sei in diesem Zusammenhang die in den angegriffenen Entscheidungen vertretene Auffassung, durch die Vorlage einer nach Ablauf der Einspruchsfrist unterschriebenen Vollmachtsurkunde könne der Nachweis einer Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung nicht geführt werden. Da eine Vollmacht zur Einlegung eines Einspruchs nach allgemeiner Auffassung auch bereits nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1912 nicht schriftlich erteilt werden müsse, verkürze es den Rechtsschutz des Betroffenen unangemessen, allein aus einer zu einem späteren Zeitpunkt unterschriebenen Vollmachtsurkunde auf die fehlende Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung zu schließen.